Johann Simon (Giovanni Simone) Mayr wird am 14. Juni 1763 im bayerischen Mendorf bei Ingolstadt geboren. Sein Vater Joseph Mayr ist Lehrer an der Mendorfer Schule und außerdem Organist der Kirche. Von ihm erhält Simon ersten Unterricht im Klavier- und Orgelspiel und singt im Kirchenchor, ab 1769 erhält Mayr dann Unterricht in Weltenburg. Sein Talent bleibt indes nicht unbemerkt: Ein nirgendwo mit Namen genannter Gönner bietet dem jungen Mayr an, ihm Studien in Wien zu ermöglichen. Mayrs Eltern lehnen dieses Angebot jedoch ab. 1772 erhält Mayr (wohl ebenfalls aufgrund seiner musikalischen Begabung) einen Freiplatz im Ingolstädter Jesuitenkolleg, wo er in Grammatik, Rhetorik, Logik, Physik und Theologie unterrichtet wird, bis er sich 1777 an der Universität in Ingolstadt einschreibt. Allerdings widmet er sich weniger seinem Studium von Theologie, Recht, Rhetorik, Logik und Medizin, als „per se quasi tutti gli stromenti d’arco e da fiato“ zu spielen, wie er selbst in seinen autobiographischen Notizen (Cenni autobiografici) berichtet. Seinen Lebensunterhalt verdient sich der Student Mayr mit Orgeldiensten in Ingolstädter Kirchen.
In diese Zeit fällt auch Mayrs Bekanntschaft mit Baron Thomas (Tommaso Francesco Maria) von Bassus (1742-1815), der dem Graubündner Zweig der Familie von (bzw. de) Bassus angehörte, Professor an der Ingolstädter Universität war und 1780 Titel und Besitz (darunter Schloss Sandersdorf) der bayerischen Linie der Familie erbte. Bassus war Mitglied des Illuminatenordens und unterhielt nach wie vor in Poschiavo (Puschlav) eine Druckerei, von wo aus er aufklärerische Literatur in Oberitalien verbreitete. Nachdem 1787 der Illuminatenorden endgültig verboten worden war, zieht sich Bassus nach Graubünden zurück und nimmt den 24jährigen Mayr mit dorthin. (Inwieweit Mayr selber in den Orden involviert war, ist nicht bekannt. In seinen Cenni findet sich dazu freilich keine Aussage, wie er sich überhaupt über seine Jugend nur sehr spärlich auslässt. Man kann aber wohl annehmen, dass es kein Zufall ist, dass Mayr 1815, dem Jahr also, in dem Thomas von Bassus stirbt, eine Kantate Annibale schreibt – Hannibal war Bassus’ Ordensname.)
Wahrscheinlich war Mayr vom Kunstfreund Bassus schon in Sandersdorf zur Hausmusik herangezogen worden. Jedenfalls ist Mayr (dessen Lieder beim Klavier zu singen 1786 in Regensburg gedruckt wurden) in Cantone, Bassus’ Besitz bei Poschiavo, nun für den Bedarf seines Mäzens an leichterer Muse zuständig – eine Aufgabe, die ihn nicht gänzlich erfüllt haben dürfte, wie eine Bemerkung in seinen Cenni schließen lässt: „ogni composizione studiata d’intreccio e d’imitazione, di fughe era quasi bandita“. Wohl aber muss Mayr durch Bassus Kontakte geknüpft haben, die ihm schließlich ermöglichten, um 1789 Unterricht bei Carlo Lenzi, dem Kappellmeister von Santa Maria Maggiore in Bergamo, zu erhalten. Mayrs erster Aufenthalt in Bergamo dauert allerdings nur wenige Monate: Mayr, so schreibt er in den Cenni, ist unzufrieden: „che non poteva ottenere di essere istrutto ne’ primi principi dell’arte di contrappunto“. Lenzis Unterricht ist offenbar nicht das, was sich Mayr erhoffte, der noch keinen grundlegenden Kompositionsunterricht erhalten hatte und zudem, so schreibt er selbst, zuvor in Ingolstadt nur einige wenige Operetten von Hiller sowie ein einziges Konzert in München hören konnte. Nimmt man diese Darstellung in den Cenni ernst, bedeutet das, dass Mayr bis zu seinem 26. Lebensjahr Autodidakt war. Frustriert ist Mayr entschlossen, Bergamo zu verlassen und nach Bayern zurückzukehren, als ein neuer Mäzen auf den Plan tritt: Conte Canonico Pesenti schickt Mayr um 1789/90 nach Venedig, um sich dort im Conservatorio di Mendicanti von Ferdinando Bertoni unterrichten zu lassen – nicht ohne ihm die Bestimmung mit auf den Weg zu geben, sich ausschließlich der Komposition von Kirchenmusik zu widmen.
Schnell sollte sich jedoch herausstellen, dass Mayr, der in den Cenni von sich selbst sagt, er sei zu dieser Zeit noch ein Anfänger gewesen, wohingegen Paёr und Nasolini ihre Opern bereits auf den venezianischen Bühnen sähen, auch von Bertoni nicht das Erwünschte erhält. Bertoni gibt formale Hinweise, erteilt ihm aber keinen grundlegenden Unterricht. So widmet sich Mayr auch weiterhin dem Selbststudium und muss nach Pesentis Tod (1793) Cembalounterricht geben, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
In Venedig macht Mayr die Bekanntschaft von Piccinni und Peter von Winter, die ihn beide dazu anregen, für die Bühne zu komponieren. Am 17. Februar 1794 findet im Teatro La Fenice die Uraufführung von Mayrs erster Oper Saffo statt. Bereits zuvor hatte er sich in Venedig mit seinen Oratorien Iacob a Labano fugiens (1791), Sisara (1793) und Tobiae Matrimonium (1794) einen Namen gemacht. Von 1794 bis 1815 wird Mayr mindestens zwei Opern pro Jahr schreiben, ohne sich dabei jemals von der Kirchenmusik abzuwenden.
Indessen hatte Carlo Lenzi seinen ehemaligen Schüler nicht vergessen und schlug ihn als seinen Nachfolger vor. Am 6. Mai 1802 wird Mayr zum Kappellmeister von Santa Maria Maggiore in Bergamo ernannt – er wird diese Funktion bis zu seinem Lebensende innehaben.
War Mayr, wie er selber meinte, nicht das Glück beschieden, den richtigen Lehrer zu finden, so setzte er sicher gerade deshalb sein Engagement daran, für die Ausbildung der Jüngeren zu sorgen. 1805 wird in Bergamo Mayrs Musikschule Le Lezioni Caritatevoli gegründet; Mayr ist neben seiner Tätigkeit als Kappellmeister ihr Direktor und für den Theorieunterricht zuständig. Für seine Schüler schreibt Mayr u. a. Solfeggien, Lieder, Arien sowie eine Reihe szenischer Werke, darunter Il piccolo compositore di musica. Die Titelpartie dieses zweiaktigen Scherzo musicale ist für Gaetano Donizetti geschrieben, der seit 1806 an Mayrs Schule studiert.
Parallel zu seinem Wirken in Bergamo schreibt Mayr inzwischen Opern für die meisten führenden Häuser in ganz Italien und erfüllt Bitten um Beiträge nach geistlichen und weltlichen Werken. Seine Musik wird in ganz Europa gespielt. Zu welchem Ruhm Mayrs Ruf gewachsen war, zeigen die zahlreichen Angebote, die Mayr seit 1803 unterbreitet werden. Unter anderen werben Wien, Petersburg, Paris, Lissabon, London, Dresden, und Mailand darum, ihn an ihre Häuser zu holen. Mayr nimmt keine dieser Möglichkeiten wahr, lehnt es ab, Kappellmeister von St. Peter in Rom zu werden und nimmt auch Napoleons Angebot, ihn zum mit 20.000 Francs Jahresgehalt dotierten Directeur du Théâtre et des Concerts zu machen, nicht an. Mayr begründet diese Absage offiziell damit, er wolle seiner Frau nicht zumuten, im Ausland zu leben (Mayr ist seit 1804 mit Lucrezia Venturali verheiratet, der Schwester seiner ersten Frau Angiola, die 1803 gestorben war).
Mit seinem Meisterschüler Donizetti verbindet Mayr eine herzliche Freundschaft. Nachdem Donizetti die Lezioni in Bergamo verlassen hat, pflegen beide einen regen Austausch in Briefen und Referenzen. Mayr bittet Donizetti 1824 um einen Beitrag für sein Cäcilienfest in Bergamo. Donizetti schickt ihm aus Neapel ein Credo, in dem er deutlich auf Mayrs Credo così detto di Novara (1815) anspielt. Mayr wiederum verwendet Teile dieses Credo von Donizetti in seiner für das Kloster Einsiedeln geschriebenen Messa a quattro (1826). Seit der Premiere von Anna Bolena (1830) redet Mayr seinen ehemaligen Schüler als Maestro an.
Mit Demetrio, der im Dezember 1823 in Turin uraufgeführt wird, schreibt Mayr seine letzte Oper. Bis an sein Lebensende wird er neben Arbeiten für seine Lezioni und einiger als Auftragswerke entstandener Kantaten fortan hauptsächlich Kirchenmusik komponieren. Warum Mayr sich völlig von der Bühne abwendet, bleibt rätselhaft. Schwer zu verstehen ist auch Mayrs kategorische Weigerung, seine Kirchenmusik publizieren zu lassen, die er 1840 in einem Brief an Giovanni Ricordi festschreibt: „e fu costante mio sistema di non dar fuori musica di chiesa“.
Mayr stirbt am 2. Dezember 1845 in Bergamo. Eine bis zur Erblindung fortschreitende Augenerkrankung hatte ihm das Schreiben schließlich fast unmöglich gemacht. Zuletzt beschäftigt er sich damit, einige seiner älteren geistlichen Kompositionen auf breit rastriertem Papier zu kopieren.
Text: Oliver Jacob