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Interview: Miranda Cuckson über G. F. Haas

Interview: Miranda Cuckson über G. F. Haas

Miranda Cuckson über Jazz und Folk Music – sowie über das 2. Violinkonzert von Georg Friedrich Haas, das sie am 7. September 2017 zusammen mit dem Tokyo Symphony Orchestra und Ilan Volkov in Tokio uraufgeführt hat. 

Wann hattest du das erste Mal Kontakt zu G.F. Haas und zu seiner Musik?

Die Musik von Georg Friedrich Haas habe ich das erste Mal im Jahr 2008 gehört. Von 2003 bis 2011 war ich Geigerin beim Argento Chamber Ensemble, und Kollegen aus Europa hatten uns von seiner Musik erzählt. Vor allem von „in vain“, das zwar in Europa, aber damals noch nicht in Amerika aufgeführt worden war. 2009 spielten wir dann die amerikanische Erstaufführung von „in vain“ am Miller Theatre, und die New Yorker Musikszene war begeistert. Georg war vor Ort, um mit uns an dem Werk zu arbeiten. Ich habe auch sein Geigenstück „de terrae fine“ mehrfach gespielt.

Seine außergewöhnliche, nuancenreiche und sehr direkte Musik hat mich vom ersten Moment an in den Bann gezogen. Die melodische und harmonische Sprache und die Verwendung der Mikrotonalität hat mir in Bezug auf ihre neuen Bedeutungsebenen und die erstaunlich vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten die Ohren geöffnet. Auch die tiefgründigen psychologischen und emotionalen Beweggründe seiner Musik haben mich angesprochen.

Auch wenn seine Musiksprache sicherlich anspruchsvoll ist und ganz neue Anforderungen an die Spieltechnik stellt sowie genaues Hinhören verlangt, fühlt und hört sich seine Musik doch erstaunlich organisch an. Das liegt daran, dass sie auf den physischen Eigenschaften des Klangs basiert, auf der Obertonreihe und den pulsierenden Vibrationen, die wir in unseren Körpern fühlen.

Abgesehen vom mikrotonalen Aspekt ist seine Musik nicht außergewöhnlich komplex. Vielmehr arrangiert er seine Ideen geschickt durch ein außergewöhnliches Gespür für dramatische Steigerungen und die Kombination verschiedener Klangfarben. Sein Umgang mit Zeit und Geschwindigkeit ist meisterhaft. Durch massive Texturen und frei gestaltete Passagen, durch sehnsuchtsvolle Melodien und farbenreiche Akkorde erzeugt er ein lebhaftes Drama.

Du hast Haas‘ zweites Violinkonzert in Japan uraufgeführt, ein Werk, das speziell für dich komponiert wurde. Wie genau hast du mit ihm zusammengearbeitet?

Ich habe Georgs Werk „de terrae fine“ für ein 2013 veröffentlichtes Solo-Album aufgenommen. Zu meiner großen Freude sagte er bei dem Konzert zur Albumveröffentlichung plötzlich: „Ich würde gerne ein Violinkonzert für dich schreiben“. Ich hatte den Eindruck, dass er da bereits einige Ideen für das Werk im Kopf hatte. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, fällt mir auf, dass Georg und ich verbal nicht wirklich viel über Musik kommuniziert haben. Ich denke, wir beide verstehen das künstlerische Schaffen  – vielleicht auch die Persönlichkeit – des anderen auf eine intuitive, unausgesprochene Art und Weise. Das bildet die Grundlage für unser Verhältnis zueinander und für die Natürlichkeit, mit der wir als Komponist und Interpretin zusammenarbeiten.

Wie würdest du Haas‘ zweites Violinkonzert jemandem beschreiben, der er es noch nicht gehört hat?

Haas‘ neues Konzert für Geige und Orchester hat eine Dauer von über 30 Minuten. Die Atmosphäre ist recht düster und turbulent. Die Musik scheint eine ruhige, sanfte Stimmung anzustreben, dies wird jedoch durch drohende Gewalt verhindert. Die Interaktion zwischen Solist und Orchester drückt die wechselnde Dynamik dieser aufwühlenden Kräfte aus. Das Werk ist auf eine besondere Weise Teil der Tradition des romantischen Konzerts, wagt sich jedoch durch seine ungewöhnliche Form, seine Harmonien und die Behandlung des Orchesters auch in experimentelle Bereiche.

Das Konzert besteht aus neun ineinander übergehenden Teilen: Präludium (1), Kadenz (2), Resonanz und Feedback (3), Dreistimmige Invention (4), Sgraffito (5), Sotto voce (6), Interludium (7), just intonation (8) und Aria (9). Haas experimentiert mit der herkömmlichen Beziehung zwischen Solisten und Orchester. Gleich zu Beginn gibt es eine Solo-Kadenz, ein Moment tiefster Verzweiflung. Im vierten und fünften Teil übernimmt das Orchester die Noten und Phrasen der Geige wie eine Art Nachhall. Dieser verwandelt sich in eine legato-Passage bei den Streichern, der sich der Solist unisono anschließt. Die Musik verweist deutlich auf den Bach-Choral „Es ist genug“, der auch in Alban Bergs Violinkonzert zitiert wird.

Im Teil „Dreistimmige Invention“ ist jede Kontrapunkt-Linie ein Strang mikrotonaler Ansammlungen. Im Teil “Sgraffito“ spielt die Geige anfangs gedämpft; sie ist kaum hörbar unter den verschiedenen Orchesterschichten. Es folgt daraus der „Sotto voce“-Abschnitt, in dem das Orchester mit unglaublicher Sanftheit spielt. Der anschließende Teil „Just Intonation“ präsentiert eine Klangwelt voll von schimmernden Harmonien. Es folgt im Solopart eine aus Mikrointervallen bestehende süße, hoffnungsvolle Melodie, die unbeständige „Aria“ rast auf das Ende zu.

Du hast die Organisation Nunc gegründet. Erzähl uns bitte mehr darüber.

Als künstlerische Leiterin arbeite ich in unregelmäßigen Abständen für Nunc. Jedes Jahr führen wir eine Handvoll Veranstaltungen durch. Mir macht es Spaß, Ideen für Programme zu entwickeln, Ur- und Erstaufführungen zu organisieren und Musiker zusammenzubringen. Nunc gibt mir die Möglichkeit, all dies zu tun. Mein Ziel ist, dass Nunc sehr flexibel ist, so dass wir jedes Werk aufführen und jedes Programm umsetzen können. Im Unterscheid zu anderen Ensembles gibt es bei uns keine festgesetzte Besetzung oder Zusammenstellung von Musikern. Ich habe Kammerkonzerte, Bildungsprojekte in Schulen, Tourneen nach Argentinien und durch die USA sowie eine Kammeropern-Produktion organisiert. Für die Zukunft sind Residenzen und Universitäten in Texas und Massachusetts geplant. Dort werden wir mit Konzerten, Kompositionsvorlesungen und Meisterklassen vertreten sein.

Das Jahr 2017 neigt sich dem Ende zu. Auf welche Projekte freust du dich besonders im Jahr 2018?

Ich freue mich natürlich riesig darauf, das Violinkonzert von Haas im Juli 2018 mit dem Staatsorchester Stuttgart und Sylvain Cambreling und dann mit dem Orchester des Casa da Musica in Porto und Baldur Brönnimann zu spielen. Außerdem freue ich mich darauf, im Frühjahr die Violinkonzerte von Michael Hesch in New York und Ligeti in Kalifornien aufzuführen. Zudem werden zurzeit verschiedene neue Werke für mich geschrieben. Außerdem gibt es im nächsten Jahr verschiedene Projekte mit hervorragenden Gruppen in New York. Und ich habe ein neues Kollektiv, das mit Veranstaltungen in der Park Avenue Armory und Harvard starten wird. 

Welche Musik hörst du abgesehen von klassischer Musik?

Ich höre viel Jazz und interessiere mich für alle möglichen Arten von Folk Musik. Manchmal habe ich auch Lust auf eine Haydn- Sinfonie oder eine Beethoven-Sonate, hin und wieder höre ich auch gerne Noise-Musik und elektronische Sachen. 

Photo: J. Henry Fair