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Neu im Verlag: Jan Dvorak

Neu im Verlag: Jan Dvorak

Jan Dvoraks Musik bewegt sich stilistisch "irgendwo zwischen Bach, Wagner und Dr. No", wie er selbst sagt. In seinen Werken verbindet er Pop- und Rockmusik mit einem Faible für Strawinsky und Boulez. Jan Dvorak ist also ein Grenzgänger, ein Wanderer zwischen verschiedenen Musik-Theater-Welten und Ausdrucksformen. 

Kurzbiographie

Studium: Dirigieren, Komposition, Musiktheorie und -wissenschaft in Hamburg und Wien
seit 2008: Mitgründer der Musiktheater-Gruppe "Kommando Himmelfahrt"
2015: Rolf Mares-Preis der Hamburger Theater
2011-2015: Musikalischer Leiter des Opernstudiengangs an der Zürcher Hochschule der Künste
seit 2016: Chefdramaturg der Oper am Nationaltheater Mannheim

Interview

Welche drei Begriffe charakterisieren Ihren kompositorischen Stil am treffendsten?

Drei Begriffe? Ich würde sagen: ironisch, pathetisch, theatral... Ironisch wegen meiner Liebe zu den 1920-er Jahren, pathetisch wegen meiner musikalischen Herkunft aus Rock und Barock, und theatral, weil ich meinen Stil im ständigen, praktischen Austausch mit der Theaterbühne entwickelt habe.

Wie sieht die ideale Musiktheater-Konzeption heute für Sie aus?

Ich glaube, Musiktheater muss integral sein. Purismus ist ein interessantes Konzept, aber auf der Bühne will ich Leben reflektieren - und das ist selten puristisch. Vielleicht hat Musiktheater mehr als andere Künste die Möglichkeit, utopische Räume öffnen. Dafür darf es sich selbst aber nicht verschließen! Daher auch meine Liebe zu futuristischen und fantastischen Themen. Für mich schließen sich ein intellektueller Zugang und eine große Lust am Geschichtenerzählen nicht aus. Dazu muss man die Epoche der "Neuen Musik" verstehen und integrieren. Aber ich finde, wir können nicht sinnvoll über zeitgenössischen Gesang sprechen, ohne die Revolution des Singens durch die Popmusik zu reflektieren. 

Die Untertitel Ihrer Opern sind ungewöhnlich: Als „Popmusiktheater“ bezeichnen Sie 20.000 Meilen unter dem Meer, Frankenstein ist eine "Gothic Opera". Was bedeuten diese Begrifflichkeiten? 

Ich arbeite an einer Art "Archäologie der Moderne". Shelley und Verne sind ja Pioniere der Science Fiction, ihre unglaublichen Visionen sind für uns zunehmend Realität. Zugleich sind sie aber auch Pioniere einer breitenwirksamen Kolportageliteratur. Das Triviale und das Visionäre schließt sich hier nicht aus. In dieser Hinsicht sind diese beiden Werke vorbildlich für mich. Ich weiß selbst nicht so genau, welche Genrebezeichnung für meine Stücke nun die richtige wäre. Aber ich fühle mich inspiriert durch die Möglichkeit, in unbekanntes musikalisches Terrain vorzustoßen – in das riesige unerforschte Delta zwischen den Strömen der Neuen Musik und der Populären Musik.

20.000 Meilen unter dem Meer könnte auch eine Familienoper genannt werden. Nach der Uraufführung 2011 am Landestheater Eisenach erlebte sie dort insgesamt 23 Aufführungen, sieben Aufführungen am Südthüringischen Theater Meiningen 2012, und 2013 fand eine Aufführungsserie der revidierten Fassung am Staatstheater Cottbus statt. Überall gab es eine sehr hohe Auslastung. Was macht das Stück Ihrer Meinung nach so erfolgreich?

Ich glaube, das Publikum hat gespürt, dass hier nicht einfach eine kommerzielle Abzocke stattfindet, sondern dass ich ernsthaft versuche, eine spannende Geschichte auf neue Art zu erzählen. Ein Kritiker vom RBB schrieb damals, es handle sich gar nicht um ein Musical, sondern vielleicht um die Zukunft der Oper. Das hat mich natürlich gefreut! Erfahrungen aus Film und postdramatischem Theater sind in dieses Stück eingeflossen, was es ermöglicht, innerhalb eines Bühnenstücks mit sehr überschaubaren szenischen Mitteln von einem Ozeandampfer auf ein Unterseeboot und vom Marianengraben bis zum Nordpol zu gelangen. Das sind Erfahrungswelten, die im Musiktheater normalerweise weder szenisch noch musikalisch verhandelt werden. Dadurch ist das Ganze dann sowohl für Erwachsene als auch für ihre Kinder spannend; meine Kinder hören die Aufnahme aus Eisenach manchmal als Hörspiel ... Mein persönlicher Spaß an der Komposition ist, dass sich fast alle Themen des Stückes aus einer einzigen Ur-Melodie ableiten lassen. Gemerkt hat es nur ein Komponistenfreund, der mir eine "verbeulte Leitmotivtechnik" attestiert hat.

2014 fand das "Frankenstein-Drama", das Sie mit Philipp Stölzl für das Schauspiel Basel entworfen haben, enormen Anklang. Es entstand die Idee, dieses Stück zu einer Oper weiterzuentwickeln. Die Oper Hamburg macht die Realisation nun mit einem Kompositionsauftrag möglich (UA 20. Mai 2018). Im Unterschied zur Basler Fassung singen hier nun alle Menschen, mit einer Ausnahme: dem Monster. Es singt nicht, sondern spricht hauptsächlich. Warum? 

Der Film- und Opernregisseur Philipp Stölzl und ich hatten uns damals für die Perspektive des Monsters entschieden. Dessen Entwicklungsgang von einem wehrlosen, riesenhaften Kleinkind zu einem liebenden Außenseiter und schließlich zum Mörder und intellektuell brillanten Gegner Frankensteins vollzieht das Libretto nach – und stellt implizit die Frage nach dem "Anderen" und dessen Ausschluss aus der Gesellschaft. Auf einer Metaebene wird zwischen klassischem Operngesang und moderneren Schauspieltechniken verhandelt. Das Monster "kann" etwas nicht, das alle anderen können. Durch diesen Mangel ist es ausgestoßen aus der Gemeinschaft und birgt zugleich den Keim von etwas gänzlich Neuem.




Photo: Julia Kneuse