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Olga Neuwirth:

Olga Neuwirth: "Maudite soit la guerre - A Film Music War Requiem"

Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs entstand im Jahr 1914 Maudite soit la guerre (Verflucht sei der Krieg) als einer der ersten Anti-Kriegsfilme. Olga Neuwirth hat nun zu diesem Stummfilm Musik komponiert. Das Ensemble 2e2m präsentiert die Uraufführung zusammen mit dem Film am 10. November in Paris, die anschließende Tournee führt durch Frankreich sowie nach Belgien, Deutschland und Österreich. „Man muss die Vergangenheit immer wach halten! Nur dadurch könnte man lernen“, sagt Olga Neuwirth in unserem Interview.

Frau Neuwirth, wie kam es zu diesem Projekt?
Das Ensemble 2e2m hat mich im Frühjahr 2013 gefragt, ob ich mir einen Stummfilm aus dem Jahre 1914 ansehen wolle, um dazu Musik zu komponieren. Da ich zu Beginn meiner Ausbildung auch Film studiert habe, hat mich das natürlich gereizt, obwohl ich zunächst aus zwei Gründen abgeneigt war: erstens ist es seit einiger Zeit zu sehr „in“, das zu tun, und zweitens glaube ich nicht, dass man mit Musik so ein großes, unbeschreiblich schreckliches Ereignis behandeln kann.

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Warum wurde dieser Film ausgewählt? Warum ist Maudite soit la guerre 100 Jahre nach seiner Entstehung noch interessant?
Warum genau dieser Film ausgewählt wurde, weiß ich nicht, aber im Moment möchte oder muss ja so gut wie jede Institution irgendwie auf den Ersten Weltkrieg „reagieren“. Da ich gelernte Österreicherin bin und sozusagen mit Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit aufgewachsen bin, sah ich durch dieses umfassende Kompendium einer Gesellschaft im Krieg das Grauen, die Zynismen der Propagandasprache der Zeitungen/Medien, die absurden, zerstörerischen Spiele zum Erhalt von Macht und Prestige, den Irrsinn von Kriegen an sich bereits so gut wie möglich künstlerisch aufgearbeitet. Daher sah ich zunächst keine Notwendigkeit, Musik zu diesem Stummfilm zu komponieren.

Der Film ist auf seine Art nicht nur sehr traurig, sondern decouvriert auch Aspekte jener Zeit, wie das Verhältnis der Geschlechter im Krieg, die Auflösung von funktionierenden Familiengefügen und Beziehungen durch den hereinbrechenden Tod durch Kriegswirren.

Alfred Machin, der zunächst als Dokumentarfilmer für Pathé arbeitete, war nicht nur ein filmischer Visionär, sondern auch ein humanistischer, denn er hat bereits vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges dieses pazifistische Manifest vorgelegt. Er hat nicht weggesehen, sondern analysiert.

Das alles gilt heute so wie vor 100 Jahren! Sehen Sie sich doch unsere Zeit an: alles ist genauso an der Kippe wie vor dem Ersten Weltkrieg und ich kann nur, wie Machin, sagen: Zur Hölle mit dem Krieg!

Daher habe ich mich letztlich dennoch für das Projekt entschieden, obwohl ich nur scheitern kann, und zwar in dem Sinne, wie der japanische Architekt in Alain Resnais Film Hiroshima mon amour zu Emmanuelle Riva sagt: „Du hast nichts gesehen in Hiroshima.“
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Wie ist das Zusammenspiel von Bild und Klang, wie sind Sie bei der Komposition konkret vorgegangen?
Ich habe, wie schon bei meiner Vorarbeit 2001 zu meiner Video-Oper Lost Highway nach David Lynch, auch diesen Film Kader für Kader analysiert. Für mich ist es unglaublich spannend zu sehen, was „hinter“ der Film-Oberfläche passiert.

Da ich ja nicht wie in einem Studio immer wieder andere Musik zu Bildern ausprobieren kann, habe ich den Film also durchanalysiert, alles mir Wichtige aufgeschrieben und mir dann den Film nicht mehr angesehen. Denn ich bin ja, wie schon Hanns Eisler schrieb, gegen ein „Mickey-Mousing“ - besonders bei diesem Thema. Ich gehe durchaus manchmal auf eine Stimmung ein, z.B. bei der noch fröhlichen, leichten, heilen Welt vor dem Krieg, die, durch die Zerstörungskraft des Krieges, ein für alle Mal für alle Beteiligte nie mehr wieder herstellbar ist… Da erklingt im verstimmten Honky-Tonk-Klavier eine Art von Salonmusik aus der Zeit der 1910er Jahre.

Aber sonst werden schon auch die Bilder in Zusammenhang mit der Musik "gegen den Strich gebürstet". Um einerseits die Bilder in neuem Licht erscheinen zu lassen, andererseits dem Drama ein (anderes) Gesicht zu geben.

In wie weit bezieht sich Ihre Komposition auf die Tradition der Stummfilmmusik aus der Frühzeit des Kinos?
Die Untermalung der stummen Bilder durch einen Klavier- oder Harmonium-Spieler hielt man ja von Anfang an für notwendig. Oft von Dilettanten ausgeführt, denn sie wurden oft von Kinobesitzern ausgenützt und mussten zu äußerst schlechten Gagen von morgens bis abends spielen. Dieser Klang schwebte mir an manchen Stellen vor: verstimmte, schlechte Pianinos...

Ich habe zwei einschneidende Erlebnisse zu dieser Art von Stummfilmbegleitung mit Klavier: das eine war, als mich die Brothers Quay 1987 zu einer Serie von mit Klavier begleiteten kolorierten Stummfilmen im British Film Institute, das ganz in der Nähe ihres Studio liegt, schickten. Das zweite Erlebnis war, als ich mir 1991, da ich mich für Lotte Eisner interessierte, in Paris im Palais de Chaillot von früh bis spät jiddische Stummfilme mit Klavierbegleitung angesehen habe.

Diese dahinmäandernden, improvisierten Klavier-Begleitungen nach vorgegebenen harmonisch-rhythmischen Schemata fand ich skurril. Daher habe ich solche Variationen von Begleitmusik-Schemata schon 1993 in meinem Bühnenwerk Bählamms Fest eingesetzt. Diesmal haben sie allerdings eine andere Funktion.
 
100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird nun Maudite soit la guerre - A Film Music War Requiem in Frankreich, Belgien sowie in Österreich und Deutschland aufgeführt. Reicht es aus, die Erinnerung an die Vergangenheit wach zu halten oder gibt es noch heute Vorurteile, Hürden und auch kulturelle Grenzen zwischen den Nationen in der Mitte Europas, die es abzubauen gilt?
Man muss die Vergangenheit immer wach halten! Nur dadurch könnte man lernen. Ich denke aber, dass der Mensch sowieso nicht lernen will, er bleibt lieber eine Ratte...

Diese Welt ist von einer ungeheuerlichen Grausamkeit. Ich kann es einfach nicht akzeptieren. Und aus dem Grund, es nicht akzeptieren zu können, komponiere ich seit meinem 15. Lebensjahr.

Ich habe nicht den Eindruck, dass wir in Europa schon in einer Gesellschaft leben, in der Herkunft keine Rolle mehr spielt. Deshalb denke ich, dass dieser Film aus dem Jahr 1914 ein ganz besonderer ist, da er nicht nur ein Aufruf zum Pazifismus ist, sondern auch dem persönlichen Drama zweier Familien ein Gesicht gibt und gleichzeitig zeigt, wie entscheidend es ist, uns immer wieder vor Augen zu halten, wie wertvoll, fragil und endlich das Leben ist. Immer, immer und immer wieder: Maudite soit la guerre!
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