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Liza Lim: Tree of Codes

Liza Lim: Tree of Codes

Im April 2016 wurde Liza Lims Musiktheaterwerk Tree of Codes an der Oper Köln mit dem Ensemble Musikfabrik uraufgeführt.


PRESSESTIMMEN

„zarte Sinnlichkeit“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.04.2016)
„Liza Lims Musik ist bemerkenswert innovativ in der Klangfindung und -kombination. Große Dichte der Struktur steht neben überraschend herzlich-zugänglichen Strecken“ (Kölner Stadt-Anzeiger, 11.04.2016)
„eine spannende Entdeckung für das Musiktheater, klug konzipiert und von eminenter Klangsinnlichkeit“ (Deutschlandradio Kultur, 09.04.2016)
„abwechslungs- und vor allem klangfarbenreiche Musik“ (Die Deutsche Bühne, 10.04.2016)
„Ungemein farbig“ (Rheinische Post, 10.04.2016)
“ein bedeutsamer Beitrag zum Musiktheater unserer Tage“ (Neue Zeitschrift für Musik, May 2016)
 „Das Ganze lohnt unbedingt einen Besuch“ (VAN Magazin, 13.04.2016)




INTERVIEW


Haben Sie in Bezug auf Oper bestimmte Vorbilder?

Ja, zum Beispiel Heterotopia von dem Choreographen William Forsythe, in meinen Augen eines der außergewöhnlichsten zeitgenössischen Werke für Musiktheater, in dem die Tänzer sprechen und körperlich mit der Sprache wie mit einem Gegenstand ringen. Auch Wagners Tristan und Isolde hat mich sehr beschäftigt, als ich meine vorherige Oper The Navigator geschrieben habe. Heterotopia  funktioniert durch seinen Sinn für fortwährende Entwicklung, Tristan und Isolde funktioniert durch die Versenkung in die Erotik.

Welche Idee steckt hinter der Oper Tree of Codes?

Tree of Codes basiert auf dem gleichnamigen Buch von Jonathan Safran Foer, für welches er einige Kurzgeschichten des polnischen Autors Bruno Schulz aus der Sammlung Street of Crocodiles (1934, auch bekannt unter dem Titel Die Zimtläden) ausgewählt hat. Tatsächlich habe ich 1995 ein Stück mit dem Titel Street of Crocodiles für das Ensemble Modern geschrieben, ein Kammerstück mit mehreren Charakteren. Es war eine Reaktion auf die sich wandelnde, magische Intensität der Geschichten.

Was mich an Safrans Buch wirklich begeistert hat, als ich es an Weihnachten 2010 gekauft habe, waren die „cut-out“-Strukturen. Dadurch ist es möglich, mehrere Schichten von Seiten gleichzeitig zu lesen und die sich verändernde Architektur der Wörter und deren Bedeutung zu erkennen.

Der Untertitel Ihrer Oper lautet „Cut-cuts in time“. Was bedeutet das?

Das Buch Tree of Codes ist aus einem Stückwerk aus verschiedenen Ebenen zusammengesetzt. Dadurch erkennt man verschiedene Bestandteile des Erzählens; Gegenwart und Zukunft kollidieren. Auch die Oper setzt sich aus verschiedenen Zeitzonen zusammen; heterogene Zeit-Realitäten, welche jenseits des normalen, linearen Kalenders parallel existieren. Ich hatte die Idee, ein Werk mit Lücken zu schreiben, durch welche man unterschiedliche Realitäten wahrnehmen kann.

Das Werk beginnt in der urzeitlichen Zeit der Vögel. Diese Welt ist aber nicht rein natürlich, sondern sie ist auch von Menschen gemacht. Es handelt sich also um einehybride Welt, in der vogel-artige Menschen und menschen-artige Vögel in einem eigenartigen Labor koexistieren. Es ist eine traumhafte und zugleich brutale Karnevals-Welt, eine Müllgrube, ein archäologischer Müllhaufen aus Masken und freifließenden Bedürfnissen. Diese Masken oder Identitäten werden anprobiert, abgelegt, wiedergewonnen oder nochmals verwendet. In einer „suspended zone“ gibt es die zentrale Figur des Vaters, der zwar tot ist, dies aber nicht weiß. Er versucht, die Realität zu erschaffen und verzaubert Abfall in Dinge. Er kommandiert mit Gesten, aber er spricht nicht. Andere sprechen dagegen für ihn; so ist er wie ein Puppenspieler, der selbst wie die Puppe eines Bauchredners ist.

Worum geht es in der Oper? Gibt es eine Handlung?

Es gibt mehrere Handlungsstränge, aber ich hoffe, dass jeder Zuschauer auch verschiedene Dinge in dem Stück sieht. Wenn es eine Handlung gäbe, dann ginge es um die grundlegende Vergänglichkeit, welche unser Leben und unseren Tod begleitet, und um die Sehnsucht nach Intensität, nach dem Schillernden und nach  Erleuchtung.

Bitte erzählen Sie uns etwas über die Protagonisten der Oper.

Es gibt drei Hauptrollen: Der Vogel-Mutant wird vom Klarinettisten des Ensemble Musikfabrik, Carl Rosman, gespielt – er singt, er trällert wie ein Vogel, er löst gesampelte Klänge aus, er spielt Klarinette – ein übermenschlicher Musiker, der mehrere Welten überbrückt! Dann gibt es noch den Sohn, gespielt vom Bariton Christian Miedl, und Adela, die sowohl für den Sohn als auch für den Vater Bedürfnisse und Faszination symbolisiert, gespielt von der Sopranistin Emily Hindrichs.

Beide Gesangs-Parts sind hochgradig lyrisch und wandeln sich zu etwas Dunklem und Bestialischem. Diese Umkehrung des Lyrischen findet vor allem im 3. Akt „Ventriloquism“ statt, der aus zwei großen „Balladen“ zusammengesetzt ist. Adelas Ballade beginnt wie eine Art Schlaflied, begleitet durch eine gezupfte Kalimba (Daumenklavier). Sie singt „Lass mich dir eine Geschichte erzählen“, als ob sie eine volkstümliche Märchengeschichte nacherzählt. Aber die Geschichte wird seltsamer und seltsamer, sie entfaltet sich in eine nächtliche Landschaft mit Geräuschen von Fröschen und Insekten, welche auch aus Goethes schrecklichen Zeilen des Erlkönigs stammen könnte – die Geschichte über den Sohn, der nicht vom Vater beschützt werden konnte.

Dann erklingt ein eigenartiges Seemannslied für den Sohn, begleitet von einem Solo-Fagott – ein schwingendes Boots-Lied über den Wahnsinn, über den als ein Tier maskierten Tod und über die Seele, die ohne Kompass in einem herrenlosen Fahrzeug in der Barmherzigkeit des Meeres verloren ist. Verschiedene Teile der Oper spielen mit Lied-Konventionen, die mit vertrauten Elementen beginnen und sich dann in etwas anderes verwandeln.

Der Vater spricht oder singt nicht und wird von dem Schauspieler Yael Rion gespielt. Darüber hinaus gibt es Doubles für den Sohn und Adela, die von Mitgliedern der Theater-Kompanie Numero23 Prod, Stéphane Vecchione und Anne Delahaye, gespielt werden., Eine weitere Figur, Touya (Diane Decker) verkörpert hier überreife Sinnlichkeit  Alle Musiker agieren auf der Bühne und spielen nicht nur ihre Instrumente, sondern sprechen und singen auch im Chor. Sie gehören auch zu den Protagonisten, , die das Labor, die Stadt und die Bühne bewohnen. Am Ende singen alle Figuren, und dies ist dann ein weiteres Beispiel für das Auflösen von Grenzen zwischen den Darstellern, was ein wichtiger Teil dieses Werkes ist.