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Moritz Eggert bei Ricordi – Interview und mehr

Moritz Eggert bei Ricordi – Interview und mehr

Seit dem 1.1.2021 ist Moritz Eggert Teil der Ricordi-Familie. Seine Werke zeichnen sich aus durch Humor gepaart mit großer gedanklicher Tiefenschärfe, durch gesellschaftspolitisches Engagement gepaart mit Universalität, durch unmittelbare Zugänglichkeit gepaart mit Experimentierfreudigkeit.

Auch über seine Arbeit als Komponist hinaus engagiert sich Moritz Eggert für ein Umdenken über den Zugang zu Neuer Musik. Seit 2020 ist er Präsident des Deutschen Komponistenverbandes, daneben hat er seit 2010 eine Professur für Komposition an der Münchener Hochschule für Musik und Theater inne. Für die Neue Musikzeitung betreibt er den „Bad Blog of Musick“ und für das ZDF die Reihe „Oper für Ungeduldige“.

Wir sind begeistert, mit ihm eine neue, von aktuellen Themen geprägte kompositorische Reise anzutreten.

In seinem Begrüßungsvideo erklärt der Komponist, Pianist, Autor, Sänger, Schauspieler und Dirigent was es mit dem neuen Signing auf sich hat und wie man auch im harten Komponistenalltag einen kühlen Kopf bewahrt. Im nachfolgenden Interview verrät er uns unter anderem, wie die Pandemie sein Leben als Komponist verändert hat, seine Sicht auf das heutige Kulturleben und was es eigentlich mit dem Eisbaden auf sich hat.



Interview

Teil 1: Wer bist du?

Kannst du mit drei Begriffen bezeichnen, was dir als Komponist wichtig ist?

Wilder Entfaltungsraum. Freiheitsgrade. Und das allerwichtigste Motto für mich: „Warum eigentlich nicht?“

Welchen Stellenwert hat die Kompositionsarbeit in deinem Leben im Vergleich zu deinen anderen Aktivitäten als Essayist/Blogger, als Performer, als Pianist? Warum?

Für mich fließen alle Aktivitäten eigentlich zusammen in ein einziges kreatives Arbeiten. Wenn ich blogge, schreibe ich vielleicht über das Klavier spielen. Wenn ich Klavier spiele, denke ich vielleicht an eine neue Komposition, und wenn ich komponiere, regt mich das vielleicht zu einem Blogartikel an. Auch wenn das Komponieren für mich die zentrale Beschäftigung ist, auf die alles hinausläuft, sehe ich meine Aktivitäten ganzheitlich und sich gegenseitig befruchtend. Ich habe nie verstanden, warum Komponisten ab irgendeinem historischen Punkt nur noch „Komponist“ sein dürfen und nicht zum Beispiel auch Autor (wie Schumann) oder Musiker (wie Liszt). Ich habe diese Trennungen nie verstanden – ich bin Musiker, manchmal auch Schauspieler, Sprecher, Autor, worauf ich Lust habe ...




Teil 2: Die Pandemie

Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Pandemie für dich, wie hat sie dein Leben als Komponist verändert?

Es hat mich alles noch einmal überdenken lassen. 2020 war sicherlich nicht mein produktivstes Jahr fürs Komponieren, aber ich sehe keinen Makel darin, auch einmal innezuhalten und tief über die Möglichkeiten der eigenen Musik nachzudenken. Schweigen und nach innen lauschen gehört genauso zur kompositorischen Arbeit wie den Stift in die Hand zu nehmen. Insofern war 2020 vielleicht sogar besonders produktiv, weil mir vieles klar geworden ist, was ich im Alltagstrott oft ignorierte. Aber diese Produktivität äußert sich erst jetzt, mit Verzögerung. Momentan bin ich voller Tatendrang, da ich denke, dass man den äußeren Umständen auch etwas Inneres entgegensetzen kann. Man kann auch in der Pandemie lachen und gute Zeiten haben, ebenso wie man nach der Pandemie auch Mal deprimiert oder traurig sein kann. Vieles hängt auch von einem selbst ab, man ist nicht so fremdbestimmt, wie manche tun.

Für einen Komponisten ist einsames Arbeiten am Schreibtisch sicher nichts Ungewohntes oder Ungewöhnliches. Wie beeinflusst die Pandemie dennoch deinen Alltag, welche Auswirkungen hat sie auf deine Kreativität, auf deine Arbeitsweise, welche Strategien hast du entwickelt, mit ihr umzugehen?

Man muss einfach grundsätzlich verstehen, dass das vorübergehende Schließen von Opernhäusern und Konzertsälen nicht plötzlich bedeutet, dass man kein Musiker mehr ist. Richtig: Es gibt einen Teil des Musikerdaseins, der sich durch Auftritte und Aufführungen definiert, aber das ist bei weitem nicht alles. Man ist auch Musiker, wenn niemand zuhört. Man ist auch Komponist, wenn man am Schreibtisch sitzt und die Welten seiner Imagination bereist, ohne dass es jemand mitbekommt. Es ist nicht unbedingt nötig, dass die ganze Welt ständig applaudiert oder zuschaut. Wir leben in einer Zeit, die die kollektive Psychose hat, dass nur das, was auf z. B. Instagram oder Facebook dokumentiert wurde, auch wirklich passiert ist. Das ist natürlich Blödsinn – es passiert auch, wenn nur du und ich es erleben.

Wie siehst du deine Aufgabe als Komponist in dieser Gesellschaft; wurde diese Sichtweise durch die Pandemie beeinflusst oder verändert? Wenn ja, inwiefern?

Ich habe darüber sehr viel in meinem Blog geschrieben – über das oben genannte „Schweigen“, das gar kein Schweigen ist, sondern nur ein Innehalten, aber auch über die von mir als arrogant empfundene Haltung mancher Künstler*innen, dass man mit Kunst irgendwie über den Dingen steht und etwas „Besseres“ ist. Diese ganzen jüngsten Empfindlichkeiten darüber, ob man in einem Atemzug mit Fitnessstudios genannt wird oder nicht, habe ich nie verstanden. Entweder ich sehe mich als Künstler in der Mitte der Gesellschaft, dann sind für mich alle Teile dieser Gesellschaft wichtig, auch Fitnessstudios und das Überleben von gefährdeten Menschen in Pflegeheimen z. B. Dass da viele Kolleg*innen plötzlich nur noch an sich denken und herzlose und kalte Rechnungen aufstellen, wie viel wichtiger nur sie jetzt in diesem Kontext sind, hat mich sehr erschüttert. Beeindruckt haben mich wiederum viele Musiker*innen, die trotz der momentanen Umstände „normal“ geblieben sind und auf die man sich weiterhin verlassen kann. Die Pandemie bringt viel hervor, was einen erstaunt.

Wie verändert die Pandemie in deinen Augen den Stellenwert der Kultur in der Gesellschaft?

Ich habe keinerlei Sorgen um den grundsätzlichen Stellenwert von Kultur, da diesen Stellenwert Kultur mit ihren Inhalten auch selbst miterzeugt. Es liegt also auch an uns, wie „relevant“ wir sind – kein Stipendium oder Fördergeld kann fehlende Inhalte wettmachen. Kultur ist wahnsinnig widerständig und überlebensfähig und hat schon ganz andere Katastrophen als die momentane Pandemie überlebt. Worüber ich mir aber schon Sorgen mache, sind die zu erwartenden Verteilungskämpfe nach der Pandemie und die erwartenden Sparzwänge und Kürzungen. Hier kann sehr viel schon Gewachsenes an Möglichkeiten wieder verschwinden, und das macht mir Sorgen. Es ist sehr leicht, ein Opernhaus oder ein Theater zu schließen, eines zu gründen, ist viel schwerer. Und dass wir eine so reichhaltige Kulturlandschaft haben, zeichnet unser Land speziell aus, das sollten wir nicht leichtfertig wegschmeißen.

Picture of Moritz Eggert

Teil 3: Deine Musik und das Kulturleben

Im vergangenen Oktober (2020) wurdest du vom Bundesvorstand des Deutschen Komponistenverbandes einstimmig zum neuen Präsidenten gewählt. Worin siehst du hier deine besondere Aufgabe, worin liegt die Herausforderung dieses Amtes?

Wer mich kennt, weiß, dass mir Funktionärsdasein und „sich wichtig tun“ nicht im Geringsten liegt. Ich nehme solche Ämter immer sehr widerstrebend an, weiß aber auch, dass eine Zeit auf uns zukommt, in der wir als Komponist*innen solidarisch sein müssen, um den zu erwartenden schwierigen Zeiten widerstehen zu können. Ich sah es also als eine Verantwortung, hier nicht „nein“ zu sagen. Durch meine Präsenz als ein auch in der Öffentlichkeit sich äußernder und die Gesellschaft reflektierender Komponist, kann ich vielleicht das eine oder andere erreichen, ich nehme die Aufgabe daher sehr ernst.

Um zum Grundlegenden für einen Komponisten zurückzukehren. Mich würde interessieren, welche Art von Instrumentalwerke interessieren dich in erster Linie?

Ich interessiere mich ehrlich gesagt für alle instrumentalen Genres sowie für Lied und Vokalmusik. Kammermusik hat Stärken, die die Orchestermusik nicht hat und umgekehrt. Ich komme eigentlich mit jeder Besetzung zurecht, bin jetzt aber eher nicht der Typ, der sich zum Beispiel in einem Genre (wie z. B. Streichquartett) festbeißt und dann 20 Stück davon schreibt. Ich bin immer neugierig auf neue Instrumente, die ich noch nicht kenne und würde auch ein Stück für zwölf Dudelsäcke und Didgeridoo schreiben. Elektronik nutze ich auch gerne, aber ungern ausschließlich – ich will auf der Bühne immer Musiker*innen performen sehen, und ich will auch das Gestische und Haptische des Musikmachens erleben, das ist ein integrales Element.

Welche Themen interessieren dich als Komponist?

Um mit Kurt Schwitters zu sprechen: „Jede Zeit muss sich selbst erlösen, weil sie allein an sich leidet“. Kurzum: Mich interessiert das Leben an sich, mit all seinen Widersprüchlichkeiten. Ein bis jetzt noch nicht artikuliertes Gefühl einer Zeit (UNSERER Zeit), das nur in Kunst wirklich ausgedrückt werden kann.

Wie ist deine Sicht auf das heutige Musiktheater- und Orchesterleben?

Es ist unglaublich deprimierend, wie mutlos der klassische Mainstream nach wie vor ist. Ein immer kleiner werdendes Repertoire von immer denselben Stücken, jedes Theater muss seinen eigenen fucking Ring der Nibelungen machen, usw. Ich liebe Don Giovanni von Mozart, aber in einer Spielzeit habe ich von diesem Stück 14 verschiedene Produktionen allein in Deutschland gezählt. Warum nur? Es ist jetzt nicht so, dass wir in unserem überschaubar großen Land riesige Entfernungen überwinden müssen, um zum Beispiel eine bestimmte Inszenierung zu sehen – auch Fans bildender Kunst reisen in andere Städte, um Ausstellungen zu sehen. Warum wird in Opernhäusern nicht zu 50% lebendiges Repertoire gespielt wie im Sprechtheater ja auch? Das will mir nicht einleuchten.

Welche Konzepte verfolgst du?

Das Konzept größtmöglicher Stillosigkeit und Unberechenbarkeit. Erwartungen zu erfüllen, hat mich schon immer gelangweilt, auch die Erwartung, KEINE Erwartung zu erfüllen, übrigens. Für mich ist Komponieren eine immer wieder neu mühsam errungene Möglichkeit von Freiheit, das will ich nutzen.

Wie definierst du Musiktheater? Was interessiert dich daran?

Der Begriff „Musiktheater“ ist für mich gar nicht so relevant. Wenn ich den Begriff „Oper“ so verstehe wie die Florentiner Camerata, ist es ein immer wieder neuer und vollkommen offener Begriff, mit dem ich mich vollkommen identifizieren kann als Komponist. Anders als die traditionellen Operngänger denke ich bei dem Wort „Oper“ keineswegs nur an das 19. Jahrhundert, sondern eben auch an das 16. oder 21. Jahrhundert. Und in jedem dieser Jahrhunderte ist Oper etwas völlig anderes und immer wieder Neues in dem Sinne, dass hier ein Gewerk aus verschiedenen Kunstformen zusammenkommt, wobei die Musik alles amalgamiert. Auch ein Stück mit Marionetten und kleinem Kammerensemble kann also für mich vollgültig „Oper“ sein.

Wie unterscheiden dich deine Konzepte von der traditionellen Oper, ihrer Form, ihrer Intention, ihrer Kompositionsweise?

Die Tradition ist nie der Feind, nur das Traditionelle, das Beharren auf schon gegebenen Antworten. Ich liebe die Opern von Verdi, aber sie beantworten mir nicht alle Fragen, die mir die heutige Zeit stellt. Würde ich heute so komponieren wie Verdi, würde ich einfach nur die schon längst gegebene (und großartige) Antwort Verdis wiederholen, und das wäre letztlich nutzlos. Eine zeitgenössische Regie kann dem entgegenwirken, weil sie mit heutiger Theatralik, Visualisierung und Ästhetik arbeitet, aber die Musik ist letztlich nicht veränderbar, und muss das auch gar nicht sein, da der Blick in diese frühere Gefühlswelt ja unglaublich spannend ist. Aber wenn ich heute Oper schreibe, muss ich meine eigenen Antworten suchen, ich kann sie bei Verdi nicht finden. Deswegen ist jede meiner Opern ein Vorstoß ins Neue, auch wenn es immer wieder Anknüpfungspunkte an die von mir ja sehr geliebte Operntradition gibt. Aber ich muss auf jeden Fall meine eigenen Antworten finden, sonst ist es nicht interessant.

Warum mischt du dich so gerne auch anderweitig, etwa als Autor deines „Bad Blog of Musick“ ins Kulturleben ein?

Da sich die Realität und unser Alltagsleben ja auch in meine Musik einmischen. Ich kann nicht in irgendeiner splendid isolation hocken und so tun, als ob es die Welt um mich herum nicht gäbe. Für mich ist das Schreiben von Texten nur eine Fortsetzung des Komponierens, manches kann mit Worten, manches mit Tönen besser gesagt werden. Es ist natürlich eine Typenfrage – ich bin jetzt einfach nicht jemand, der still in der Ecke sitzt und alles hinnimmt, ich sag dann auch Mal was, und freue mich auch, wenn andere das tun.

Früher waren Fitness-Studios für dich Nogo-Areas, Sport eigentlich undenkbar. Seit ein paar Jahren bist du quasi auch als Extremsportler präsent: Marathonläufe, Berge hinaufrennen, Eisbaden im Winter. Kannst du uns das erklären?

Das wäre eine längere Geschichte, bei der ich ganz zurück in meine Kindheit gehen müsste, wo mir in schrecklichstem und erniedrigendem Sportunterricht jeglicher Spaß an der Bewegung ausgetrieben wurde, die mir eigentlich typenmäßig liegt. Als ich mich vor zehn Jahren entschloss, gesünder zu leben und abzunehmen, fing ich an, ein bisschen zu laufen. Vor ein paar Jahren stieß ich dann durch Zufall zur sehr speziellen Fitness-Community Münchens, die tatsächlich ziemlich verrückt und vielfältig ist, mit sehr netten Menschen, mit denen ich bis heute gerne viel Zeit verbringe, da man sich untereinander motiviert und sehr positiv ist. Das hat mein Leben sehr bereichert und anscheinend muss ich da noch ein bisschen von dem nachholen, was mir Herr K. in meinem Frankfurter Gymnasium massiv verleidet hat. Mein größter Wunsch ist es jetzt, noch sehr lange so Sport machen zu können, mir machen auch diese ganzen Turniere und Wettbewerbe riesigen Spaß. Als ich zum ersten Mal einen Preis im Sport gewann, war ich viel stolzer als auf manchen Musikpreis (muss ich gestehen) einfach, weil ich nie gedacht hätte, dass ich das je in meinem Leben mal schaffen würde.

Das Gespräch führte Promotion Managerin & Dramaturgin Daniela Brendel





Photos: Mercan Fröhlich