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Ruhrtriennale mit Nemtsov, Grisey, Scelsi und Xenakis

Ruhrtriennale mit Nemtsov, Grisey, Scelsi und Xenakis

Die Ruhrtriennale lädt jedes Jahr zeitgenössische Künstler:innen ein, die monumentale Industriearchitektur der Metropolregion Ruhr zu bespielen. Hallen, Kokereien, Maschinenhäuser, Halden und Brachen des Bergbaus und der Stahlindustrie verwandeln sich in beeindruckende Spielorte an den Schnittstellen von Musiktheater, Schauspiel, Tanz, Performance und Bildender Kunst. Sie machen die Ruhrtriennale zu einem weltweit einzigartigen Festival, dem internationale Aufmerksamkeit sicher ist.

2022, im zweiten Jahr der Intendanz von Barbara Frey, standen diverse Werke aus unserer Verlagsgruppe im Mittelpunkt: In der Eröffnungspremiere „Ich geh unter lauter Schatten“ wurden Werke u. a. von Grisey, Scelsi und Xenakis, bezogen auf das Thema „Tod“, szenisch interpretiert; Sarah Nemtsovs Instrumentalzyklus HAUS, zusammengesetzt aus existierenden und neukomponierten Miniaturen, erfährt seine szenische Uraufführung in der direkt neben der Jahrhunderthalle gelegenen Turbinenhalle; weiter auf dem Programm: die Deutsche Erstaufführung von Sarah Nemtsovs Stück MOOS mit dem Klangforum Wien unter Patrick Hahn.

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Szenische Uraufführung von HAUS

Sarah Nemtsov: HAUS

Wie ein amputierter Wurmfortsatz aus einer anderen Zeit verharrt die Turbinenhalle im Bochumer Westpark. Die Produktionsstätte hat ihre ursprüngliche Funktion verloren und wird nun neu besetzt:

Sarah Nemtsovs Instrumentalzyklus HAUS (2013–2022) zieht in den Raum ein, tastet seine Oberflächen und Innereien ab, baut Zimmer übereinander und verkriecht sich in einer Kammer, schlägt Fenster in die Imagination und findet die Tür nicht mehr. Solominiaturen und Ensemblestücke für Harfe, Flöte, Klarinette, Schlagzeug und elektroakustisches Instrumentarium schaffen ein mehrdimensionales Gebilde und verhandeln komplexe Zustände von Gemeinschaft, Vereinzelung und Kontaktlosigkeit. Die Regie- und Videoarbeit von Heinrich Horwitz und Rosa Wernecke spürt gespeicherten Gewalterfahrungen nach, reißt Altes ab, um Platz für die Keimzelle einer utopischen Neukonstruktion zu machen. Das Publikum durchmisst die installative Szene mit den eigenen Schritten, kann selbst Blickachsen und Bewegungstempo definieren, während die Raumkomposition die Sinne fortwährend in produktive Desorientierung versetzt. Queere Transformationsprozesse erfassen Körper wie Raum, machen schwindelig, pellen die Wände, um ihr Mauerwerk nach außen zu tragen: »Dies ist ein dunkles Haus, sehr groß. / Ich selbst habe es gebaut. / Zelle für Zelle aus einer stillen Ecke, / auf grauem Papier kauend, / Leimtropfen schwitzend, /  pfeifend, mit den Ohren wackelnd, / die Gedanken anderswo.« Sylvia Plath
—Ruhrtriennale

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Szenische Uraufführung von HAUS

Kritiken zu Nemtsovs HAUS

"Musikalisch hochinteressant."
Deutschlandfunk Kultur, 31.08.2022


"Ihre Instrumente werden aufgebaut und sie spielen für uns starke Musik, der man gut zuhören kann, rhythmisch akzentuiert, voll rauer, schorfiger Klangfarben, aus denen die wie nebenbei gehandhabten Gonge unterschiedlicher Größe fast als Tonidylle herausstechen. Dazu werden mit abstrakten Projektionen und dem Riesentuch Bilder erzeugt, vom funkelnden Wasserfall bis hin zur Illusion der Rotation der riesigen, alten unbeweglichen Siemens-Turbine in der Hallenmitte. [… Es ist schön], dass es am Ende aus der Halle hinausgeht und Sebastian Berweck und Jonathan Shapiro noch einmal hinreißend miteinander musizieren, als hätte ihnen Sarah Nemtsov einen einzigartig strahlenden Rahmen für eine Perkussion-Elektro-Jam-Session gebaut. Aber auch hier bleibt die Interaktion ganz auf der musikalischen Ebene."
Die Deutsche Bühne, 01.09.2022


"Die Fähigkeit von Sarah Nemtsov, einen Raum mit Klang zu füllen und dafür ihren ganz eigenen Weg zu finden, übernimmt dann zum Glück für den eigentlichen Abend das Zepter. […] [W]as dann in dem alten Gemäuer passiert und entfesselt wird, das funktioniert, entfaltet Intensität, bietet trotz eines anhaltenden Grundströmens Abwechslung, langweilt nicht. Ein von der Kette gelassener Klangrausch, der Assoziationsräume öffnet, vor allem aber auf der (Selbst-)Reflexion des Komponierten und der eigenständigen Kraft einzelner Instrumente beruht."
nmz, 01.09.2022


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Szenische Uraufführung von HAUS


Partitur von HAUS


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Premiere von ICH GEH UNTER LAUTER SCHATTEN

ICH GEH UNTER LAUTER SCHATTEN

mit Grisey, Scelsi und Xenakis

Ein ernstes Thema gleich zu Beginn der Ruhrtriennale: Die Eröffnungsproduktion mit Werken u. a. von Grisey (Quatre chants pour franchir le seuil), Scelsi (Okanagon) und Xenakis (Nuits) widmete sich ganz der Auseinandersetzung mit dem Thema Tod. Zu erleben war ein musikalisch und atmosphärisch eindrucksvoller und hochqualitativer Abend, getragen vom Klangforum Wien, dem Chorwerk Ruhr und den Solist:innen unter der musikalischen Leitung von Peter Rundel.

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Kritiken

"Nicht eins der ausgewählten Stücke ist für die Theaterbühne geschrieben. Jedes trägt eine ganze Klang- und Ausdruckswelt in sich. Dennoch ist es gelungen, diese so unterschiedlichen Kompositionen musikalisch in einen stringenten Ablauf zu überführen. […] Musikalisch überwältigend, eigentlich unverzichtbar durch das Zur-Verfügung-Stellen komplexer, wesentlicher und weitgehend unbekannter Kompositionen in Modellinterpretationen."
Die Deutsche Bühne 08/22


"Der Abend war musikalisch ein voller Erfolg. Festivals für zeitgenössische Musik neigen oft dazu, Konzerte wie Malen nach Zahlen zu kuratieren und dabei, einer Fiktion von Vollständigkeit folgend, eine Art Fertigmischung aus Vertretern verschiedenster Stilrichtungen zusammenzukippen. Ich geh unter lauter Schatten dagegen vereinte fünf Werke mit gemeinsamen ästhetischen Anliegen und ähnlich hohem handwerklichen Niveau, entsprechend sensibel und kraftvoll vom Klangforum und dem Chorwerk Ruhr vorgetragen. Ein Beispiel: Rundel wählte genau das richtige Tempo für den zweiten Satz der Quatre chants, der regelmäßig zu langsam interpretiert wird. Als ein Neue-Musik-Abend mit Werken aus einem, ästhetisch reichen Guss war das Programm eine Ausnahmeerscheinung und damit ein ganz besonderes Vergnügen. Die imposante Bochumer Jahrhunderthalle, von Ulrich Schneider stimmungsvoll beleuchtet, untermalte die kosmische Schwere des Repertoires."
VAN-Magazin 18.08.2022

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Premiere von ICH GEH UNTER LAUTER SCHATTEN

"The sound sets your teeth on edge. Gérard Grisey’s music calls for microtonal deviations from standard pitch. The musicians of Klangforum Wien play them with such delicious precision that you squirm in your seat. The human ear is seldom capable of discerning microtones exactly – even a quarter-tone pushes our limits – so when the Viennese ensemble applies itself to finder deviations, you feel rather than hear them. It is this perfectionism in impossible demands and unplayable scores that makes Klanforum Wien such a thrilling ensemble to hear. They, along with the similarly obsessive vocal ensemble Chrowerk Ruhr, form the core of Ich geh unter lauter Schatten /I Wals Beneath Many Shadows), which opened this quar’s Ruhtrtriennale on Thursday."
Financial Times, 16.08.2022


Photos: Katrin Ribbe, Volker Beushausen / Ruhrtriennale