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Interview: Olga Neuwirth

Interview: Olga Neuwirth

Liebe Olga Neuwirth, Ihre Möbel stehen in Wien, Ihre aktuelle Wohnung ist in Berlin und Sie leben zurzeit für mehrere Monate in New York. Wo fühlen Sie sich zu Hause?
Ich habe leider kein Zuhause… Das ist nicht gerade angenehm in diesen hektischen, stressigen Zeiten. Eine Wanderer-Fantasie…

Wie beurteilen Sie die Szene für zeitgenössische Musik in New York verglichen mit der in großen europäischen Städten?
Ich kann das nicht vergleichen, weil ich keiner dieser Szenen angehöre. Ich sitze zwischen zwei Stühlen… Hier gefällt mir jedenfalls, dass die Musiker, mit denen ich arbeite, sehr gut vorbereitet und sehr fokussiert sind. Sie arbeiten hart, sind sehr wissbegierig und überhaupt nicht arrogant.

Was bedeutet amerikanische Kultur für Sie?
Ich bin unverfroren USA-zentristisch. Da mein Onkel auf Long Island lebt, bin ich seit meiner Kindheit oft hier gewesen. Ich habe Baseball gespielt, war in den 80ern ein Punk, habe Graffiti und die Hip-Hop-Band NWA verehrt. Ich habe mich immer schon zur amerikanischen Kultur hingezogen gefühlt, sowohl zur Populär- als auch zur Hochkultur. Mein Vater ist Jazz-Musiker, und daher habe ich schon als Kind viele Clubs hier in der Stadt besucht und dabei amerikanische Musik unterschiedlicher Stilrichtungen gehört, von Blues über Steve Reich bis hin zu Klaus Nomi. Das hat mich geprägt.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Herman Melville, dessen Texte Sie in Ihrem Bühnenwerk The Outcast (2010) vertont haben?
Das lässt nicht mit wenigen Worten sagen! Das Schicksal von Melville hat mich tief bewegt, die reichhaltige Komplexität seiner Prosa, seine innovativen, sich stets verändernden narrativen Strukturen, sein Humor, seine Fähigkeit, die innere Struktur der menschlichen Seele in einem spontanen Sprachfluss auszudrücken, hat mich inspiriert

Sie haben kürzlich die Arbeit an einem Werk für die Wiener Philharmoniker abgeschlossen, die Uraufführung findet 2015 statt. Was bedeutet es, für dieses außergewöhnliche Orchester zu komponieren?
Ich habe bereits 2006 ein Stück für sie und den wunderbaren Trompeter Håkan Hardenberger geschrieben. Dieses Mal habe ich „nur“ für das Orchester komponiert. Der Kompositionsauftrag für Masaot/Clocks without Hands ist eine große Ehre und zugleich eine beängstigende Herausforderung gewesen.

An welchen Werken arbeiten Sie zurzeit?
An einem Viola-Solos für Antoine Tamestit und zwei Filmmusiken. Eine für einen österreichischen Horrorfilm, die andere für einen sehr berührenden filmischen Appell für Frieden und Toleranz. Nicht gerade unwichtig in diesen Zeiten. Es handelt sich um einen Stummfilm aus 1914 namens Maudit soit la guerre von Alfred Machin. Was für eine Vorahnung, denn der Film wurde nur einen Monat vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gedreht!

Haben Sie für unsere Leser einen Geheimtipp für New York?
Einen Spaziergang am Hudson, egal bei welchem Wetter. Das letzte Mal, als ich in New York gelebt habe, schrieb ich The Outcast, und damals habe ich meinen täglichen Spaziergang – bei jeder Wetterlage – sogar gefilmt, weil sich die „Stimmung“ des Flusses so stark verändert.

Mein Lieblingscafé auf der Upper West Side, The Raven, musste leider wegen einer Mieterhöhung schließen. Jetzt befindet sich dort ein weiterer dieser unzähligen, austauschbaren Barbershops. Das Café war jedenfalls in dem Haus, in dem Edgar Allen Poe The Raven geschrieben hat, die zu meinen Lieblingsgeschichten gehört. Das Café gehörte zur Poe Society, es war ein liebevoller, ruhiger Ort mit köstlichem Café und Kuchen.

Glücklicherweise blicke ich von meinem Schreibtisch direkt auf das Haus, in dem ein weiteres Idol von mir gelebt hat: Isaac Bashevis Singer.

www.olganeuwirth.com