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Interview: Tabea Zimmermann über Enno Poppe

Interview: Tabea Zimmermann über Enno Poppe

Enno Poppe hat ein neues Bratschenkonzert Tabea Zimmermann auf den Leib geschrieben und stellt sie gleichzeitig vor neue musikalische Herausforderungen. Am 11. April 2015 spielt sie mit dem Ensemble Resonanz die Uraufführung von Filz im Wiener Konzerthaus. Folgeaufführungen finden in der Kölner Philharmonie (12.04.) und der Laeiszhalle Hamburg (15.04.) statt. Die Komposition wurde von Ensemble Resonanz, der Kölner Philharmonie und dem Wiener Konzerthaus in Auftrag gegeben.

Viele namhafte Komponisten haben Werke für Sie geschrieben. Erfahrungsgemäß bedeutet dies einen erheblichen Mehraufwand: Warum tun Sie sich das an?
Mehraufwand klingt lustig für mich! Ich erarbeite ja ständig neue Werke, beiße mir die Zähne an allem möglichen aus – zum einen, um Routine aus dem Weg zu gehen, zum anderen, da es einfach nichts Schöneres gibt als einen Erkenntnisgewinn und einen größeren Erfahrungsschatz. Ich freue mich auf das Neue und sehe daher auch das Altbekannte immer wieder aus einer anderen Perspektive.

Haben Sie im Vorfeld gemeinsam mit Enno Poppe Dinge auf Ihrem Instrument ausprobiert?
Wir haben uns im letzten Winter in Berlin kennengelernt und dabei einige Klänge zusammen ausprobiert. Enno Poppe hatte bereits eine klare Vorstellung von einem dynamischen Klang. Mich faszinierte dabei die entfernte Verwandtschaft mit der chinesischen Geige Erhu.

In einem Interview sagten Sie in Bezug auf Filz: „Ich muss das Bratschespielen neu lernen.“ Warum?
Weil mir kein anderes Werk für Bratsche einfällt, wo das Thema Glissando so stark behandelt und abgehandelt wird wie hier. Mein absolutes Gehör (oft ein Segen, gelegentlich auch ein Fluch) hilft, dass ich mir die Töne vom Papier sehr schnell auch „absolut“ vorstellen kann. Den wandelbaren Prozess der Töne, wie ihn Poppe komponiert, muss ich mir aber neu erarbeiten. Das finde ich übrigens sehr bereichernd. Ich bin sowieso in einer Phase, in der mich der „Weg von“ und der „Weg hin zu“ sehr interessiert. Da kam das Werk von Poppe genau zur rechten Zeit, um das nun auch instrumental umzusetzen.

Inwiefern gibt es in Filz noch einen Bezug auf die Tradition?
Ich sehe Filz durchaus in der Kontinuität von anderer „guter“ Musik! Poppe erfindet nicht das Rad neu. Er schreibt (zum Glück!) in lesbaren Notensystemen, greift auf altbekannte Notenwerte und Tonhöhen zurück. Nur die Klangfarbe von 18 solistischen Streichern mit vier Klarinetten beziehungsweise Bassklarinetten kombiniert mit Solobratsche ist außergewöhnlich: das gab es noch nie und ist sehr aufregend!

Was assoziieren Sie in diesem Werk mit dem Titel Filz?
Ich kann die Frage nach Assoziationen wohl erst nach Beginn der gemeinsamen Probenphase beantworten. Momentan ist alles reine Phantasie (und harte Arbeit). Aber aus Gesprächen mit Enno Poppe kann ich mir vorstellen, dass das Material Filz und die Dichte des Materials durchaus wiederzuerkennen sein werden.

Was möchten Sie am Musikleben verändern?
Ich möchte gerne meinen Beitrag dazu leisten, dass die alten, patriarchalischen Strukturen in der Gesellschaft wie in der Musik überflüssig werden! Auf die Musik bezogen heißt das: ich arbeite ungern mit Dirigenten, die sich als Zentrum des Geschehens sehen.

Ensembles wie das Ensemble Resonanz, die Kammerphilharmonie Bremen, das Ensemble Modern, aber auch viele einzelne Musiker von „normalen“ städtischen Orchestern bringen sich doch viel lieber in einen musikalischen Prozess ein, bei dem es keine hierarchischen Strukturen gibt.

Eine musikalische Leitung dagegen kann als sehr positiv wahrgenommen werden, wenn man sich einbringen darf und doch eine Richtung spürt. Dafür stehen Dirigenten wie Claudio Abbado und Simon Rattle – oder in der jüngeren Generation François-Xavier Roth und Yannick Nézet-Séguin. Bei ihnen spürt man, dass sie sich eher als Katalysator begreifen und durch ihr Wissen, ihr Gehör und ihre Sensibilität die Musiker zur Höchstleistung motivieren, nicht durch Angst.

Der Dirigent als Intendant, der zugleich Chef seiner musikalischen Mitarbeiter ist, sollte sich überlebt haben. Musik und Macht passen nicht zusammen! Wenn ich einen kleinen Beitrag in diesem Veränderungsprozess leisten kann, indem ich mit meiner eigenen Konzerttätigkeit ein kammermusikalisches Miteinander vertrete, dann bin ich schon sehr glücklich.

Auf welche Projekte in naher Zukunft freuen Sie sich besonders?
Da ich das Glück habe, selbst darüber zu entscheiden, welche Konzerte ich zusage und bei welchen Projekten ich lieber nicht mitmache, freue ich mich tatsächlich auf alle Termine in meinem Kalender! Dort stehen nun an: Bartók mit François-Xavier Roth in Helsinki (1.4.), dann die Ur- und Folgeaufführungen von Poppe in Wien, Köln und Hamburg (11.-15.4.), Konzerte mit dem Arcanto Quartett, Sonatenabende mit Javier Perianes. Zudem gebe ich seit langem mal wieder einen Meisterkurs im Rahmen des Schleswig-Holstein-Musikfestivals.




Photo: Marco Borggreve