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Annette Schlünz: Tre Volti

Annette Schlünz: Tre Volti

Annette Schlünz' MusiktheaterwerkTre Volti – Drei Blicke auf Liebe und Krieg nach einem Libretto von Ulrike Draesner wurde am 28. April 2017 bei den Schwetzinger SWR Festspielen uraufgeführt. Regie führte Ingrid von Wantoch Rekowski; das Concerto Köln dirigierte Arno Waschk.


AUFFÜHRUNGEN

Concerto Köln, Arno Waschk
Rokokotheater Schloss Schwetzingen
28.04.2017 (UA), 30.04.2017
Auftragswerk der Schwetzinger Festspiele, 
finanziert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung

Schluenz Tre Volti


Drei Fragen an Annette Schlünz

TRE VOLTI Drei Gesichter, drei Anblicke, drei Drehungen. Wie entsteht ein Stück aus unterschiedlichen kreativen Quellen? 

AS Als Komponistin bin ich an verschiedene künstlerische Quellen gewöhnt, allein schon durch die Interpreten meiner Werke. Aber die Begegnung mit Monteverdi war in diesem Zusammenhang wirklich etwas Besonderes. Hier gab es plötzlich einen dritten Ansatzpunkt, eine Art Fremdkörper aus einer anderen Zeit. Ulrike Draesner und mir war schnell klar, dass wir der stark männlich geprägten Sphäre des »Combattimento« (Tasso/Monteverdi/Testo) eine weibliche Sicht gegenüberstellen, bzw. eine unmittelbare Begegnung dieser beiden Welten ermöglichen wollten. Aber wie es dann (leider) oft ist, murmelten die verschiedenen kreativen Quellen dieses Projekts längere Zeit leise vor sich hin, bevor die Schwetzinger Festspiele sich glücklicherweise dazu entschieden haben, die Quellen zu einem Fluss zu verbinden. 

LIEBE UND KRIEG Diese Analogie schafft Claudio Monteverdi selbst im Titel seines achten Madrigalbuches, aus dem auch »Il Combattimento di Tancredi e Clorinda« stammt – es geht unmittelbar um Eros und Kampf. Wie erscheint Dir diese Analogie heute, in einer zunehmend virtualisierten Zeit und auf einer Musiktheaterbühne des 21. Jahrhunderts? 

AS Wenn ich beim Komponieren über Instrumente nachdenke, denke ich gleichzeitig an eine bestimmte Person, einen Typ. Will sagen: für mich haben Musiker eine ebenso starke Präsenz auf der Bühne wie Sänger, Darsteller, Tänzer etc. und sind keinesfalls »ungesehene Begleiter im Graben«. So war es mir für »Tre Volti« wichtig, dass die fünf Instrumentalsolisten junge Männer sind, und so mit dem rein weiblichen Vokalquartett ein Spannungsverhältnis erzeugen. Ich habe versucht, die erotische und kämpferische Grundspannung zwischen Tancredi und Clorinda als musikalisches Prinzip in die Partitur einzuschreiben, nicht im Sinne einer plakativen Erzählung, sondern einer erlebbaren Struktur und Gestik. Meiner Ansicht nach lässt sich Erotik und Gewalt auf der Bühne nicht naturalistisch darstellen, sondern es ist unsere Aufgabe, Situationen und Bilder zu erzeugen, in der jede Phantasie sich frei und schrankenlos bewegen kann. 

MUSIKTHEATER MIT MONTEVERDI Der Physiker und Träger des Alternativen Nobelpreis, Hans-Peter Dürr, fragt: »Wie offen ist die Zeit?« und stellt weiter fest: »Die Wirklichkeit offenbart sich uns in einer merkwürdigen Schichtung, die durch Vergangenheit und Zukunft, mit der Gegenwart als Grenzfläche, gekennzeichnet ist.« Heißt das, Claudio Monteverdi und Torquato Tasso sind nicht im historischen Sinne weit hinter uns, sondern in einer Art vertikalen Zeit immer über oder unter uns?  

AS In meinem Verständnis ist das in jedem Fall so. Ich stelle mir immer vor, man legt Schichten frei, oder trägt sie ab und plötzlich ist das scheinbar Alte unglaublich nah und aktuell. Wenn ich beispielsweise in Venedig im Markusdom bin, höre ich sofort die Klanglichkeit der Renaissance und verstehe intuitiv, warum dort so komponiert wurde. Ich halte es an der Stelle auch für notwendig, unseren Akademismus zu hinterfragen, der die Dinge oft lieber chronologisch betrachtet, als nach sinnvollen, inhaltlichen Analogien zu fragen. Der historische Zusammenhang ist nur einer von vielen möglichen Zusammenhängen und ich habe immer erlebt, dass, wenn Dinge in, im wahrsten Sinne des Wortes, ungewöhnliche Zusammenhänge gestellt werden, es das Sehen, das Hören, ja sämtliche Wahrnehmung bereichert, erweitert, vertieft und inspiriert. 


Auszug aus dem Programmheft zur Uraufführung. 
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Schwetzinger SWR Festspiele.




 
PRESSEZITATE

Eßlinger Zeitung | 2. Mai 2017
„Draesners Text ist ein Puzzle von Slogans und parodistisch verstärkten Dialogfetzen, und die Musik von Annette Schlünz reagiert darauf mit kammermusikalischen instrumentalen Aktionen. Die Farbe eines Akkordeons, der Wechsel von Chitarrone zur EGitarre, kurze einsame Soli von Klarinette und Saxofon, sparsam eingesetztes Schlagwerk, und dazwischen immer wieder und manchmal auch leicht verfremdet die Klänge Monteverdis.“

Die ZEIT | 4. Mai 2017
„Die Ungewissheit unserer Zeit wird hörbar in den kostbar transparenten Strukturen von Annette Schlünz, der Ruf nach Nähe, und Claudio Monteverdi begegnet dem keineswegs als glaubensfester Tröster. Dass er in die Sprache eindringt, bis sie aufbricht wie die Linien seines Erzählers selbst, dass Verzweiflung mitspielt, dass jeder Akkord wie ein Schritt auf gerade entstehendem Weg klingen kann - das wird im Gegenüber und Ineinander beider Musiksprachen deutlicher denn je.“

Süddeutsche Zeitung | 4. Mai 2017
„Dabei ist Annette Schlünz‘ Musik extrem genau gearbeitet, aus kleinen Motiven sehr dicht gewoben. Die Komponistin bevorzugt eine asketische Klanglichkeit aus zarten, angerissenen, tastenden Klängen, die oft wie pointillistisch in den Raum getupft wirken.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung | 4. Mai 2017
„Entsprechend schlank im besten Sinne setzt die Partitur von Annette Schlünz, ohne Massierungen wie Elektronik-Equipment, ein Barock-Ensemble, vier Frauenstimmen und einen bisweilen leicht jazzigen Bläser-, Gitarren- und reichen Perkussionsapparat gegeneinander, die Faktur ist hell-gelenkig, kennt aber auch schroffe Überraschungen.“

Rhein-Neckar-Zeitung | 2. Mai 2017
„Die Partitur zeichnet das hoch komplexe Miteinander von alter und neuer, eigener und fremder Musikexakt vor. Die Komponistin spricht von „Fenstern“, die sich immer wieder öffnen und schließen und den Blick nach draußen oder innen lenken.“


Komponistenprofil: Annette Schlünz

Photos: Elmar Witt