Herausgegeben von Antony Beaumont
Uraufführung der Kritischen Edition: 27.01.2019, Berlin
Anhand einer „Ouvertüre F-dur“ schlug Johannes Brahms den 24-jährigen Alexander Zemlinsky im Frühjahr 1895 für ein monatliches Stipendium des Wiener Unterrichtsministeriums vor. Von der täglichen Last des Stundengebens vorübergehend befreit, befand Zemlinsky sich damit in der glücklichen Lage, die Instrumentierung seiner Erstlingsoper Sarema in Ruhe vollenden zu können. Möglicherweise hatte er die Ouvertüre ohne Titelseite eingereicht, daher die etwas vage Angabe im Empfehlungsschreiben von Brahms. In Zemlinskys Nachlass befinden sich dafür zwei divergierende Titelblätter: Das eine, datiert „im September 1894“, trägt den Vermerk „zu Ring des Ofterdingen von Wartenegg“; das andere, datiert „1895“, nennt keine literarische Quelle. Was war geschehen? Im Mai 1890 hatte das Deutsche Volkstheater in Wien eine „Preislustspiel-Concurrenz“ ausgeschrieben. Von 262 eingereichten Stücken kürte der Jury das Lustspiel Der Ring des Ofterdingen von Wilhelm von Wartenegg (1839–1914), Kustos an der k. u. k. Gemäldegalerie in Wien, zum Sieger.
Die Uraufführung folgte am 12. März 1891. „Der erste Act […] brachte den Darstellern zahlreiche Hervorrufe“, berichtet die Wiener Zeitung, „dann wurde der Applaus schwächer und getheilter“. Beim Schlussvorhang gab es Pfiffe und Buhrufe; „unerhörter Schund“, schrieb Arthur Schnitzler in sein Tagebuch. Kürzungen wurden vorgenommen, und das Publikum nahm die Folgeaufführungen mit Jubel auf. Wenige Monate nach der Premiere erschien der Text als Reclam-Heft, und im Verlauf der Spielzeit 1891/92 erzielte das Stück beträchtliche Erfolge u.a. in Karlsruhe, Leipzig, Oldenburg und Schwerin, weitere Inszenierungen wurden in Berlin und Prag angekündigt. Es ist nicht undenkbar, dass Zemlinsky selbst an dem Prager Projekt beteiligt werden sollte. Belegt ist dies nicht, doch warum sonst sollte er die Arbeit an Sarema unterbrechen, die für ihn ja höchste Priorität hatte, wenn nicht, um einen honorarpflichtigen Auftrag zu erfüllen? In Prag war die Premiere für Ende November 1894 am Neuen Deutschen Theater vorgesehen, dazu ist es aber nicht gekommen. Die Produktion wurde kurzfristig abgesagt, für eine Bühnenmusik bestand damit kein Bedarf mehr.
Zwar suggeriert die mitunter solistisch hervortretende Harfenstimme der Lustspiel-Ouvertüre das Umfeld eines romantischen Minnesängerspiels, und das C-Dur-Seitenthema passt genau zu Warteneggs „Kranzlied“ im 4. Akt. Am Ende jedoch kommt die Partitur ohne literarische Vorlage aus. Mit der Vergabe des Stipendiums hatte sie in Zemlinskys Augen ohnehin ihr Ziel erreicht; er legte sie beiseite. Später borgte er das Hauptthema für eine Pantomime mit Klavierbegleitung, Ein Lichtstrahl, die 1901 am Buntes Theater „Überbrettl“ in Berlin aufgeführt werden sollte. Doch auch dieser Plan ging nicht in Erfüllung. Und somit, dem Lob von Brahms zum Trotz, blieb die Lustspiel-Ouvertüre, dieses anmutige, leichtfüßige Werk, über 120 Jahre im Archiv vergraben und vergessen.
Text: Antony Beaumont