Nikolaus Brass: "Sommertag"
Das Kammermusiktheaterwerk Sommertag von Nikolaus Brass handelt von der Vereinzelung und Sprachlosigkeit sehr heutiger Menschen. Der Kompositionsauftrag von der Siemens Musikstiftung finanziert, die Uraufführung findet am 12. Mai 2014 im „Schwere Reiter“ im Rahmen der Münchener Biennale statt.
Nikolaus Brass über Sommertag:
"Im Kammermusiktheater Sommertag nach dem gleichnamigen Theaterstück von Jon Fosse geht es um das vergebliche Warten einer jungen Frau auf ihren Mann, der - an einem Herbsttag - allein aufs Meer hinaus fuhr. Er kam nie wieder. Erzählt wird in einer Rückblende. Die Frau, älter geworden, erinnert sich - ausgelöst durch einen Besuch ihrer Freundin an einem schönen Sommertag - an den Tag des Verschwindens. Im plötzlich aufspringenden Raum der Vergangenheit begegnet sie sich selbst als junger Frau, durchlebt den Schmerz der Sprachlosigkeit mit ihrem Mann Asle, erfährt ihre Hilflosigkeit und Angst und erkennt die Natur ihrer Beziehung zu ihrer Freundin und deren Mann, der an den unscharfen, irrealen Rändern ihres Gedächtnisses wie ein Puppenspieler die Fäden eines dunklen Spiels zu ziehen scheint. Letztlich stellt sie sich der Unabänderlichkeit des gelebten Lebens. Im Setting einer offenen Szene ohne Grenze zwischen Bühne, Musikern und Publikum werden alle Beteiligten hineingenommen in die sich steigernde Dynamik des Erinnerungsstromes.
Warum Sommertag von Jon Fosse?
Das Stück handelt von der Vereinzelung und Sprachlosigkeit sehr heutiger Menschen. Fosse meint, er schreibe von einfachen Menschen mit nicht einfachen Problemen. Sein "Arbeitsfeld" sind die menschlichen Beziehungen. Seine porösen, fast banalen Texte liegen einer stummen, unbewussten, aber seelisch sehr aktiven Tiefenschicht auf, die gleichwohl nicht zur Sprache kommt. Auf dieser brodelnden Magmaschicht schaukeln die Fosse-Sprachbruchstücke wie kleine Schollen. Auf diesen Sprachschollen versuchen die Fosse-Menschen sich zu behaupten.
In ihrer Durchlässigkeit für das Ungesagte bieten die "nichts-sagenden" Fosse-Texte ein ideales Feld für die Musikalisierung des Nicht Gesagten. Die Musikalisierung in meiner Fassung von "Sommertag" erfolgt nun über weite Strecken dadurch, dass nicht alles vorgegeben ist, stellenweise gibt es nur Einzelstimmen, die die Beteiligten in "Eigenzeit" gestalten. Es werden musikalische Räume eröffnet, in die die Protagonisten (Sänger, Tänzer und Instrumentalisten) eintreten wie in ihren eigenen "Seelenraum", den sie im Moment des szenischen Geschehens zur Darstellung bringen. Daher erscheint es nur folgerichtig, dass auf einen Dirigenten verzichtet wird. Das heißt, Aufgabe der Inszenierung wird es sein, jeder Aufführung von "Sommertag" innerhalb festgelegter Grenzen nicht nur eine jeweils eigene, unwiederholbare musikalisch-szenische Struktur, sondern auch eine besondere, unwiederholbare seelische "Aktualität" zu geben. Die charakteristische Struktur der musikalischen Setzung mit ihrem besonderen "Raum" (in dem nicht alles bestimmt ist) bestimmt den "Raum" des Geschehens.
Als bestens für dieses Konzept geeignet erwies sich der konkrete Theater-Raum des "Schwere Reiter" in der Dachauerstrasse in München, in dem "Sommertag" zur Uraufführung kommen wird. Er bietet die Gewähr, dass ein integraler, Publikum und Protagonisten umfassender Handlungsraum entsteht."