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Interview: Samir Odeh-Tamimi

Interview: Samir Odeh-Tamimi

Samir Odeh-Tamimi spricht über sein neues Werk Mansur (Uraufführung bei den Salzburger Festspielen am 26. Juli), Sufismus, Improvisation und seine Erfahrungen in Brasilien.

Erst kürzlich wurde dein überaus expressives Jarich in Stuttgart uraufgeführt, ein Stück, in dem du die nächtlich geträumten Schreie eines Kindes nach seiner Mutter in Musik setzt, denn es wurde durch die Grenzziehung in Israel von ihr getrennt. Das Kind war deine Mutter. Was reizt dich an der Singstimme als Instrument?
Mich faszinieren die weiblichen Stimmen sehr. Das sind die Stimmen, die am meisten in mir Erinnerungen hervorrufen. Das sind die Stimmen meiner Mutter, meiner Tanten und Großmütter, die durch ihre Kraft und ihre bebenden Stimmen eine ganze Kultur in sich tragen und vermitteln.

Du hast als Musiker in Israel in verschiedenen Ensembles für traditionelle arabische Musik gespielt und improvisierst noch heute gerne. Wie haben diese Erfahrungen deine Arbeit als Komponist beeinflusst?
Improvisieren bedeutet für mich musikalische Abläufe spontan und im Moment zu erfinden. Beim Improvisieren ist fast nichts exakt wiederholbar. Das zwingt dich dazu, viele Variationen zu finden, um dich und dein Publikum nicht nach ein paar Minuten zu langweilen. Als Komponist vermeide ich ganz bewusst die absolute Strukturierung eines Werkes. Ich habe musikalische Ideen, die ich dann improvisierend verfolge, und ich bin immer ganz offen für andere Ideen, die im Moment entstehen und die für das Werk sehr bedeutend werden können.

Am 26. Juli 2014 wird dein neue Komposition Mansur bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Warum hast du dich dazu entschieden, ein Werk des Sufi-Mystikers Mansur al-Hallağ (857-922) zu vertonen? Was interessiert dich am Sufismus?
Ich bin in einer Familie geboren, die zum Teil den Sufismus praktizierte, beispielsweise sufische Gebetsrituale. In meiner Jugend verfolgte ich diese Zeremonien mit großer Aufmerksamkeit. Nicht aus religiösem Interesse, sondern aus musikalischem. Mich beeindrucken diese Rituale bis heute durch ihre Archaik und Tiefe, durch ihre Ekstase und Konzentration. Die Gedichte von al-Hallağ haben meistens einen Rhythmus, der einen zum Tanzen und Schweben bringt. Mich faszinieren auch seine radikalen Anschauungen, für die er sogar gestorben ist.

Du bist als Palästinenser in Israel aufgewachsen, hast in Griechenland gewohnt und lebst heute in Deutschland. Deine Musik wird in europäischen, arabischen, afrikanischen und amerikanischen Ländern aufgeführt. Was bedeutet Heimat für dich?
Ich liebe alles, was fremd ist. Also das, was ich nicht kenne. Das Fremde hat mich gelehrt und geformt. Das Fremde ist ein Teil von mir geworden und ich ein Teil von ihm.

Brasilien zieht aufgrund der Fußball-WM gerade viel Aufmerksamkeit auf sich. Du hattest dort letztes Jahr mehrere Aufführungen. Bitte schildere uns deine Erlebnisse!
Brasilien ist ein sehr großes Land. Man fühlt sich darin etwas verloren. Und das ist schön. Die Menschen, die zu den Konzerten kamen, hörten mit großer Aufmerksamkeit zu. Was mich sehr beeindruckt hat, war, dass manche Paare ganz eng, Körper an Körper, gemeinsam der Musik zugehört und das Geschehen verfolgt haben.