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Interview: Dai Fujikura

Interview: Dai Fujikura

Dai Fujikura über sein Verhältnis zur japanischen Kultur und sein neues Orchesterwerk Rare Gravity, das am 10. Juli 2014 vom Orchestre de la Suisse Romande unter der Leitung von Kazuki Yamada in Tokio uraufgeführt wird.

Wie bist Du mit klassischer Musik in Berührung gekommen? Und warum hast Du Dich dazu entschieden, im Alter von 15 Jahren von Japan nach Großbritannien zu ziehen?
Als Kind hat mir meine Mutter die Biographien von historischen Komponisten wie Beethoven, Mozart, Bach, Brahms, Schumann und Schubert vorgelesen. Damals war ich ungefähr 10 Jahre alt, und ich wusste sofort, dass ich Komponist werden will. Weil all diese Komponisten Deutsch sprachen, dachte ich, dass ich nach Deutschland ziehen sollte. Allerdings waren meine Eltern der Meinung, dass für uns Japaner die englische Sprache leichter zu erlenen sei als die deutsche. Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt weder Deutsch noch Englisch sprach, entschied ich mich für Großbritannien. Letztendlich hat es mir dort so gut gefallen, dass ich geblieben bin.

Welchen Einfluss hat die japanische Kultur auf Deine Musik?
Komponieren bedeutet für mich eine andere Welt zu erschaffen, in der es keine Grenzen gibt. Aus diesem Grund spielt die Kultur meines Heimatlandes keine wichtige Rolle für mich, meine Musik soll neutral sein. Ich suche nach einem Utopia, wo ich frei von allem sein kann. Und wo immer meine Musik aufgeführt wird, lade ich das Publikum ein, mir in diese Welt zu folgen, wenigstens für ein paar Minuten…

Welche Rolle spielt zeitgenössische Musik in Japan?

Mir gefällt an Japan immer sehr gut, dass ich viele unterschiedliche Menschen kennenlerne: Menschen, die nichts mit zeitgenössischer Musik zu tun haben, sondern aus anderen Szenen wie Avantgarde-Improvisation oder experimenteller Popmusik kommen.

In meinem anderen Leben, in meinen Nebenprojekten, arbeite ich mit verschiedenen experimentellen Pop- und Jazz-Musikern zusammen, darunter David Sylvian, Jan Bang und Ryuichi Sakamoto. Diese Projekte sind für mich eine Art „Oase“ im Vergleich zu meiner täglichen Arbeit als Komponist zeitgenössischer Musik. Durch diese Künstler habe ich viel gelernt, zum Beispiel wie man bestimmte Musik wirklich „hört“. Und dann ist es einfach toll, wenn man merkt, dass manche Menschen wiederum über diese Nebenprojekte auf meine Haupttätigkeit aufmerksam werden – so schließt sich der Kreis.

Bitte gib unseren Lesern ein paar Tipps: welche japanischen Bücher, Komponisten und Filme empfiehlst Du?
Ich empfehle die Filme Tokyo Story von Yasujiro Ozu und Seven Samurai von Akira Kurosawa, den Fantasy-Zeichentrickfilm Ponyo von Hayao Miyazaki und den Roman Mister Aufziehvogel von Haruki Murakami.

Am 10. Juli 2014 wird Dein Orchesterwerk Rare Gravity in Tokyo uraufgeführt. Was ist das Konzept dieser Komposition?
Meine Tochter wurde vor zwei Jahren geboren. Seitdem habe ich mehrere Stücke geschrieben, die von ihr inspiriert sind. Rare Gravity handelt davon, wie ein Embryo im Bauch der Mutter heranwächst. Der Embryo treibt auf sehr friedvolle Weise im Wasser, und dieses Wasser beschützt zugleich das ungeborene Kind. Dies reflektiert sich in der Musik. Ich hoffe, dass die Zuhörer genau das nachempfinden können: dieses Gefühl, von Wasser umgeben zu sein, und diesen wundervollen Zustand der Schwerelosigkeit.

Woran arbeitest Du gerade?
Ich habe gerade meine erste abendfüllende Oper beendet und nehme nun die letzten Korrekturen vor. Die Uraufführung erfolgt im März 2015 am Théâtre des Champs-Élysées in Paris, danach wird Solaris in Lille und Lausanne zu sehen sein. Zusätzlich arbeite ich an einem Stück für zwei Klaviere für Bahar und Ufuk Dördüncü. Außerdem erstelle ich gerade die Masters für ein Album, das ich zusammen mit dem peruanisch-japanischen Gitarristen Shin Sasakubo aufgenommen habe und das im September auf Sony Music erscheint. Schlussendlich mache ich mir schon die ersten Gedanken zu meinem nächsten Projekt: ein Flötenkonzert für Claire Chase.