Manfred Gurlitt: Goya-Sinfonie
Die Goya-Sinfonie von Manfred Gurlitt ist ein Werk des Spätexpressionismus und steht repräsentativ für einen Kompositionsstil, der sich vor allem durch die Verbindung von Neoklassizismus mit freitonalen Passagen auszeichnet.
Manfred Gurlitt (1890–1972) war Schüler Engelbert Humperdincks und assistierte als Korrepetitor und Dirigent bei Richard Strauss, Carl Muck und Leo Blech, bis er 1929 an die Berliner Krolloper als Dirigent berufen wurde. Von den Nationalsozialisten wurde Gurlitt später als „jüdischer Mischling 2. Ordnung“ eingestuft und deshalb mit Berufsverbot belegt.
Die Goya-Sinfonie entstand 1938, also kurz bevor Gurlitt nach Japan ins Exil ging. Dort wurde ihm die Beachtung geschenkt, die ihm in Deutschland nicht zuteil wurde. Seine Werke wurden in Japan uraufgeführt und er konnte weiterhin als Dirigent und Musikpädagoge tätig sein.
Wie schon in der Themenwahl seiner Musiktheaterwerke lässt sich auch in der Goya-Sinfonie deutliche Gesellschaftskritik gegen die nationalsozialistische Herrschaft erkennen. Die Inspiration für die Sinfonie kam Gurlitt 1933 bei einem Museumsbesuch im Prado in Madrid und soll einen musikalischen Einblick in das Leben und Wirken des Malers Francisco Goya (1746–1828) geben. Dabei sind die Parallelen zu Gurlitts eigener Biografie unverkennbar: Beide Künstler setzten sich in kritischer Weise mit den politischen Verbrechen ihrer Zeit auseinander und ließen dies, wenn auch chiffriert, in ihr künstlerisches Schaffen einfließen. Goya, der als Vorläufer der modernen Kunst gilt und Inspiration auch für andere Komponisten und Künstler war, floh aus Angst vor politischer Verfolgung nach Frankreich.
Wie Goya und Manfred Gurlitt war auch Dmitri Schostakowitsch einer jener Künstler, die stets in dem ambivalenten Verhältnis zwischen eigener Meinungsäußerung und der Angst vor Vertreibung gefangen waren.
Der anfangs so heitere Charakter der Sinfonie, eingefärbt durch spanische Kastagnetten, verdunkelt sich zunehmend. Das verspielte Thema des Kopfsatzes wird im zweiten Satz von einer marschartigen, staccato-artigen Motivik abgelöst. Kraftvolle Akkord-Einwürfe erzeugen im dritten Satz eine bedrohliche und aggressive Atmosphäre. Der abschließende Variationssatz gleicht durch die allmähliche Auflösung der Tonalität einer endlosen Suche. Die Goya-Sinfonie wurde am 14. Januar 1943 durch das Tokyo Symphony Orchestra in Tokio uraufgeführt.
Manfred Gurlitt blieb nach Ende des 2. Weltkriegs in Japan. Erst 1952 kehrte er für eine Reise nach Europa zurück, wo er in Deutschland auch den 3. Satz der Goya-Sinfonie dirigierte. Der Erfolg als Dirigent und Komponist blieb ihm jedoch verwehrt. So kehrte er nach Japan zurück, wo er 1972 in Tokio starb.
Die Goya-Sinfonie wurde 2008 für eine CD-Aufnahme vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Antony Beaumont eingespielt.
Text: Dorothea Schuldt