Komponisten über Komponisten
Auf unserem Blog stellen unsere Komponisten regelmäßig ihre Lieblingswerke aus unserem Katalog vor. Dieses Mal: Robert HP Platz schreibt über Erniedrigt – Geknechtet – Verlassen – Verachtet... von Klaus Huber.
"Beim ersten Blick auf und in die überdimensionale Partitur (liegt bei mir auf dem Fußboden: kaum ein Tisch ist groß genug, sie aufzunehmen; selbst mein eigentlich großflächiges Arbeitspult nicht,) scheint dieses Stück völlig hyperkomplex, größenwahnsinnig – wie viele Dirigenten braucht man überhaupt, um es aufzuführen? Fünf? In was für eine Art von Saal muß ein Orchester ziehen, um das proben und spielen zu können? Und: stellt dieser exzessive Aufführungsaufwand nicht einen Widerspruch dar zu der sozial(istisch)en Botschaft der Komposition? In armen Ländern läßt sich das Stück niemals aufführen, die Bedingungen sind zu luxuriös.
Wäre also weniger nicht mehr?
Nein.
1983 war ich in Donaueschingen selbst als Dirigent und Komponist tätig. Tags darauf, wenn ich mich richtig erinnere, ging ich zur Generalprobe und Uraufführung von Klaus Hubers Stück, und ich erinnere mich noch heute mit anhaltender Faszination daran – ein Meer von Musikern, ein Ozean von Klängen... Erdrückend, überwältigend und doch von einer manchmal zarten, bewegenden Schönheit.
Immer wieder stellte sich beim Hören der Eindruck ein: da schreibt sich einer die Empörung über die Ungerechtigkeiten der Welt vom Leibe; ich hörte, ja spürte die zermalmende, auch und sogar direkt akustische Gewalt von Unterdrückung, von Unerbittlichkeit, Gnadenlosigkeit... Ich spürte und hörte aber auch die Liebe zum Schwachen, Verletzlichen, zum Menschen. Und am Ende: Betroffenheit, Erschütterung... und Hoffnung, ein Bild von Leichtigkeit, wie sich der Mensch über die Nöte der Unterdrückung zu erheben und wie ein Vogel in die Freiheit zu fliegen vermag: „am Himmel ziehen die Reiher“...
Dieses Stück atmet trotz seiner aufwändigen Aufführungs-Maschinerie einen Humanismus, eine Reinheit, die selbst hartgesottene Neue-Musik-Verächter eines Besseren belehren müsste. Gleichzeitig glaube oder hoffe ich zumindest: auch ein Misanthrop, wie es wieder so viele gibt in unserer Zeit, würde den Spiegel vor dem Gesicht bemerken, er käme anders aus dem Konzert heraus als er hineingegangen war – vorausgesetzt, man bekäme ihn überhaupt in ein Konzert mit dieser Komposition.
Diese Botschaft wird zu selten gehört, dieses vielleicht wichtigste Stück des Komponisten zu selten gespielt."