Komponisten über Komponisten
Auf unserem Blog stellen unsere Komponisten regelmäßig ihre Lieblingswerke aus unserem Katalog vor. Dieses Mal: Hans-Jürgen von Bose schreibt über …quasi una fantasia… von György Kurtág.
"Als ich in den frühen neunziger Jahren György Kurtágs …quasi una fantasia… zum ersten Mal in einem Konzert in Berlin unter der fabelhaften musikalischen Leitung Peter Eötvös' und mit dem hochgeschätzten Zoltán Kocsis am Flügel hörte, war ich schon mit den ersten Takten und im Verlaufe des Werkes immer mehr aufs Höchste fasziniert, verwundert und durchaus begeistert.
Eine der Fragen, die sich mir stellten, war, wie es Kurtág gelingen konnte, eine solch vielgestaltige Intensität, simultane wie sukzessive Vielschichtigkeit in so kurze chronometrische Zeit zu verdichten – er ist für mein Gefühl übrigens der einzige Komponist, der diesbezüglich Webern transzendiert hat. Die Frage, wie dies möglich sei, beschäftigt mich auch heute noch und immer wieder.
Die Welt Kurtágs scheint mir eine sehr groß gefasste zu sein; groß ist aber auch sein Ethos der Bescheidenheit und seine Konzentration auf Wesentlichstes in diesem Werk und in seiner Musik überhaupt, ebenso wie seine radikale Introspektion, die sich in jeder Note der Musik manifestiert. Immer wieder gestaltet er höchst poetische, ureigene Visionen, deren Ausdrucksbereiche von überwältigender Zartheit bis hin zu beinahe brutaler Direktheit reichen; dies alles immer mit den denkbar präzisesten Mitteln - eine Musik, die häufig viel klarer und einfacher klingt, als sie letztendlich von der Faktur her ist.
Mir persönlich erscheint es immer, als käme in jedem der Kurtág'schen Werke eine geheime, beinahe schon theatralisch zu nennende Ebene zum Ausdruck; „Märchenbilder“ von einer packenden Plastizität, selbst und gerade noch im ganz Leisen, eine kaum zu enträtselnde innere Welt voller Bilder und geheimer Botschaften. Zuweilen fühle ich mich an große Maler des surrealen Realismus oder des real-Surrealen wie Magritte erinnert (meine ganz persönliche Assoziation bezüglich des letzten und ersten Satzes von op. 27 gilt Magritte).
Kurtág nutzt alle Errungenschaften der Neuen Musik – etwas, das man anhand seines bisher vorliegenden Werkes genau studieren kann. Er tut dies, um eben seine ureigensten und ganz individuellen Visionen damit zu gestalten.
Kurtág sagte einmal über sein Komponieren, dass nicht er im Prozess der Wissende sei, sondern das Komponieren, die Musik selbst. Dies bewahrheitet sich in jedem seiner Werke aufs Neue und immer wieder anders – die Musik kommt zu sich selbst, angereichert um alle Erfahrung und alles Wissen des Tradierten wie auch des erst seit der Moderne Möglichen.
Die vielfache Bezugnahme auf von ihm so geliebte Werke der Vergangenheit (schon in den Titeln …quasi una fantasia… oder Wie ein Traumeswirren), seine schier unbegrenzte Möglichkeit, das musikalische Erbe mit eigener, also wahrhaft neuer und unerhörter Substanz zu füllen, die Gestaltung einer höchst produktiven Wechselwirkung zwischen dem eigenen Dasein als Komponist und den vielfältigen Vergangenheiten - all das macht György Kurtág zu einer Komponistenpersönlichkeit, die ich persönlich als unbedingt vorbildhaft verstehe, und seine Musik zu einer, die ich sehr liebe. Sie gibt mir immer wieder Hoffnung."