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Komponisten über Komponisten

Komponisten über Komponisten

Auf unserer Website stellen unsere Komponisten regelmäßig ihre Lieblingswerke aus unserem Katalog vor. Dieses Mal: Nikolaus Brass schreibt über Hamamuth – Stadt der Engel von Rolf Riehm.

„Die Musik von Rolf Riehm trifft mich immer wieder wie ein Schlag. Wie ein elektrischer Schlag. Sie fährt mir zunächst in den Körper, dann erst ins Hirn.

Hamamuth – Stadt der Engel
, was für ein gewaltiges Stück. Hamamuth wollte ich – noch bevor ich einen Blick in die Partitur geworfen hatte – einmal während einer Autofahrt hören, der nächste Parkplatz „fing“ mich gerade noch auf, ich war unfähig, mich auf irgendetwas außerhalb dieser Musik zu konzentrieren und mich von dieser Musik zu lösen, gleichermaßen gepackt von der kompositorischen wie interpretatorischen Energie, die da auf mich einströmte. (Ich hörte die Aufnahme mit Nicolas Hodges.) „Halt, langsam“, wollte ich rufen, „ist das nicht Überrumpelung, was ihr da betreibt?“ Will ich so angepackt werden? Ja, ich will. Musik als existenzielle Lebenswucht, die mir Wahrheiten ins Gesicht schleudert, die ich auf anderen „Kanälen“ ja leicht wegdrücken kann.

Riehm schrieb Hamamuth – wie er in seinen „Überlegungen zum Stück“ in der Partitur festhält – ja im Bewusstsein „der Bilder von Verwüstung im Irak, die man ständig im Fernsehen sieht. Irgendwo zwischen den Ruinen müssen die Engel ja noch sein. In der Zerstörung ist das ‚Heilige‘ besonders gegenwärtig.“ Er stieß auf „dieses paradoxe Konglomerat“ als er einen Bericht über Anselm Kiefers Himmelspaläste fand. Dort werden „Himmelspaläste“ als „schwer beschädigte, vom Einsturz bedrohte, trotz ihrer leichten Schieflage hochaufragende, graue Ruinentürme aus Stahlbeton“ beschrieben.

Dazu kamen Bilder aus den Kampfgebieten des Irakkrieges, und Bilder einer Noch-Nicht-Zerstörtheit: „… Habe ständig Fotos der Stadt Schibam im Hadramuth, Jemen, vor Augen… Eine Traumstadt, Symbol der desaströsen Lage: Eine Engelstadt (= unwirklich schön), die ich nicht erreichen kann (= Lebensgefahr)… Verwirrung der Wahrnehmung ohnegleichen.“

Die Musik übt auf den Hörenden einen Zwang aus, sie lässt nicht los und locker, sie sagt, was ist: Desaster. Aber: als geformte Aussage scheint durch das gestaltete Desaster auch etwas wie Licht. Es ist sehr eigenartig wie in der Architektur der Musik von Rolf Riehm Zerstörung und Konstruktion sich die Waage halten, wie in den Chiffren von Vernichtung und Gewalt immer auch das Zeichen einer Unzerstörbarkeit eingebrannt ist. Dies wird besonders deutlich an dem mit "Gesang Schibam" überschriebenen letzten Abschnitt der Komposition.

Für mich ist Hamamuth - Stadt der Engel eine der bedeutendsten Kompositionen für das so schwierige „Möbelstück“ Klavier, alle Beteuerungen Lügen strafend, man könne (für dieses „Möbelstück“ und überhaupt) nur noch „uneigentlich“ komponieren. Nein, hier ist nichts ironisch vom Leib gehalten, hier wird keine Brechung vorgeführt, sondern der „Bruch“ geht durch die komponierte „Welt“ und damit auch durch das komponierende Subjekt hindurch. Und im künstlerischen Bemeistern dieses Bruchs, in der konstruktiven Durchdringung des gewählten Materials erlangt diese Musik für mich ihre „schlagende“ Wahrhaftigkeit. Lieber Rolf Riehm, vielen Dank für die Anstrengung, dieses Stück geschrieben zu haben.“

Nikolaus Brass, 7. März 2015