„Einer der weltweit führenden jungen Komponisten“, schrieb das Magazin
New Yorker über den chinesisch-amerikanischen Komponisten Huang Ruo. Ricordi London vertritt ab dem 1. Juli 2015 sein Gesamtwerk.
Huang Ruo, geboren 1976 in Hainan (China), lebt zurzeit in New York und ist seit kurzem Composer-in-Residence des Concergebouw-Orchesters in Amsterdam sowie des National Symphony Orchestra of Taiwan. Sein umfangreiches Oeuvre umfasst unter anderem fünf Bühnenwerke, zahlreiche Orchester- und Ensemblestücke sowie Multi-Media-Installationen.
Der „unverwechselbare Stil“ (
New York Times) seiner originellen Musiksprache ist gleichermaßen von der traditionell-folkloristischen chinesischen Musik wie von der westlichen Avantgarde, Rock und Jazz inspiriert.
INTERVIEW
Bitte stellen Sie sich kurz vor: wo wurden Sie geboren, wo sind Sie aufgewachsen, wo haben Sie bis jetzt gelebt?
Ich wurde auf der tropischen Insel Hainan in China geboren und wuchs dort sowie in Guangzhou und Shanghai auf. Im Alter von 18 Jahren ging ich in die USA. Dort habe ich zunächst Englisch in Los Angeles gelernt, was eine große Herausforderung für mich bedeutete. Anschließend habe ich Komposition am Oberlin Musikkonservatorium in Ohio und an der Juilliards School studiert, wo ich auch promoviert habe. Seit dem Jahr 2000 lebe ich in New York, mittlerweile ist die Stadt mein Zuhause geworden.
Welche Rolle spielt klassische und zeitgenössische Musik?
Nach der Kulturrevolution 1976 lebte die klassische Musik in China langsam wieder auf. Heute floriert die Szene. Ich kann mich noch gut an meine Jugend in den 1980er und 90er Jahren erinnern, als die Chinesen begannen, modische Kleidung zu tragen und Pop und klassische Musik hörten. Einige junge Eltern kauften bereits ein Klavier, bevor ihr Kind überhaupt geboren war. Eine Szene für zeitgenössische Musik befindet sich in China noch im Aufbau. Erst seit einigen Jahren wird sich die Bevölkerung der Bedeutung der neuen Musik, ihrer Individualität und Originalität bewusst.
Was verbinden Sie mit Ricordi?
Ricordi ist einer der international wichtigsten Verlagshäuser für klassische Musik. Ich wurde das erste Mal auf Ricordi aufmerksam, als ich noch in Shanghai das Musikkonservatorium besucht habe. Bei Ricordi sind viele der wichtigsten Komponisten der Vergangenheit und Gegenwart verlegt. Es ist daher eine große Ehre für mich, nun selbst als Komponist von Ricordi vertreten zu werden und meinen Gesamtkatalog bei Ricordi veröffentlichen zu dürfen.
Bitte erzählen Sie uns mehr über Ihre Oper Dr. Sun Yat-Sen.
Dr. Sun Yat-Sen ist die erste meiner vier Opern. Die emotionale Bindung daran kann man mit der zum ersten Kind vergleichen, das immer einen besonderen Platz im Herzen einnimmt. Es ist eine Oper des 21. Jahrhunderts, die Elemente der asiatischen und westlichen Operntraditionen miteinander verbindet. Die Gesangsstimmen sind nach der westlichen Tradition ausgerichtet, die Texte sind zu einem großen Teil in Mandarin verfasst, mit einzelnen Passagen in Kantonesisch.
Dr. Sun Yat-Sen ist für Kammerorchester und drei zusätzliche traditionelle chinesische Instrumente komponiert. Inhaltlich beschäftigt sich die Oper mit dem Kampf von Dr. Sun Yat-Sen, dem Gründervater des modernen Chinas, der wesentlich dazu beigetragen hat, 1911 den letzten Herrscher der Qing-Dynastie zu stürzen. Im Anschluss an die Uraufführung 2011 an der Oper in Hong Kong fand im Sommer 2014 die amerikanische Erstaufführung an der Oper in Santa-Fe statt. Für 2017 ist die kanadische Erstaufführung an der Vancouver Opera geplant.
Sie wurden vor kurzem zum Composer-in-residence des Concertgebouw-Orchesters ernannt. Bitte erzählen Sie uns mehr darüber.
Het Concergebouw Amsterdam hat mich vor kurzem zu seinem Composer-in-residence für die Saison 2015-16 ernannt. Ich werde für einige Zeit in Amsterdam leben und diese großartige Stadt entdecken. Neben meinen verschiedenen Aufgaben als Composer-in-residence werde ich ein neues Werk komponieren, welches in der Saison 2016-2017 im Concergebouw uraufgeführt werden wird.
An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?
Ich habe gerade meine neue Installations-Oper
Paradise Interrupted fertiggestellt, welche vor kurzem beim Spoleto Festival in den USA uraufgeführt wurde. Zurzeit arbeite ich an einer neuen Sinfonie mit dem Titel
Becoming Another, die ich für das National Symphony Orchestra Tawain komponiere, wo ich ebenfalls Composer-in-residence bin. Als nächste Komposition ist ein Klavierkonzert geplant, das den Namen Unscrolled trägt. Es handelt sich dabei um eine Auftragskomposition des NTR Zaterdag Matinee. Die Uraufführung wird am 12. Dezember 2015 vom Het Residentie Orkest / The Hague Philharmonic im Concertgebouw unter dem Dirigat von Emilio Pomàrico mit dem Pianisten Emanuele Arciuli uraufgeführt.
Welches Projekt würden Sie umsetzten, wenn Geld keine Rolle spielt?
Ich habe den preisgekrönten Dokumentarfilm
The Story of the Weeping Camel vor zehn Jahren zum ersten Mal gesehen und war zutiefst ergriffen und berührt. Der Film handelt von einem Mutterkamel, welches sein neugeborenes Junges verstößt, das unter großen Schwierigkeiten als Albino zur Welt gekommen ist. Das junge Kamel schreit Tag und Nacht und ist verängstigt, als die Mutter es wegstößt und das Füttern verweigert.
Während das Neugeborene langsam verhungert und kurz vor dem Tod steht, kommt ein mongolischer Musiker, der auf einer Pferdekopfgeige spirituelle Musik spielt. Die Musik berührt das Mutterkamel zutiefst. Der einfache aber kraftvolle Klang der Pferdekopfgeige vermag es, das Herz des Mutterkamels auf magische Weise zu erweichen. Es akzeptiert schließlich ihr Neugeborenes und beginnt es zu füttern.
Nachdem ich den Film mehrere Male gesehen habe, habe ich mir ausgemalt, wie man diese wahre Begebenheit innovativ auf die Opernbühne bringen könnte.
The Story of the Weeping Camel ist mein persönliches Herzensprojekt. Hoffentlich finde ich eines Tages ein Festival, einen Veranstalter oder ein Opernhaus, mit dem ich diese Idee in die Tat umsetzen kann.
AUSGEWÄHLTE WERKE
Folk songs for orchestra (2012)
1. Version: für großes Orchester
2. Version: für Kammerorchester
Dauer: 12'
Klangbeispiel
Dr. Sun Yat-Sen (2011)
Oper in 3 Akten
Klangbeispiel
The color yellow (2007)
1. Version: Konzert für Sheng und Orchester
2. Version: Konzert für Sheng und Kammerorchester
Dauer: 20'
Klangbeispiel
Shattered steps (2006)
für großes Orchester
Dauer: 12'
Klangbeispiel
Path of echoes. Symphony no. 1 (2006)
1. Version: für großes Orchester
2. Version: für Kammerorchester
Dauer: 20'
Klangbeispiel
Confluence (2002)
Konzert Nr. 4 für 15 Musiker
Dauer: 16'
Klangbeispiel
The Lost Garden (2001)
Konzert Nr. 2 für 8 Musiker
Dauer: 18'
Klangbeispiel