Am 30. Oktober 2016 dirigiert Brad Lubman die Uraufführung von Enno Poppes Orchesterwerk
Torf und die der neuen Version von Philippe Manourys
Sound and Fury (verlegt bei unserem Partner Durand-Salabert-Eschig) beim NOW Festival in Essen. Mehr in diesem Interview.
Steve Reich sagte einmal über Sie: “Nach so jemanden habe ich immer gesucht.“ Dabei bezog er sich auf Ihre „Kammermusik-Mentalität“ und die Klarheit in ihrer Art zu dirigieren. Wie hilft Ihnen dieser Ansatz bei der Erarbeitung von Enno Poppes Orchesterwerk Torf?
Meine Herangehensweise ist immer dieselbe, egal, ob es sich um Musik aus dem Jahr 1616 oder 2016 handelt. Ich suche zuerst nach dem, was der Komponist eigentlich macht. Dann besteht meine Arbeit darin, diese klanglichen, emotionalen, strukturellen, klangfarblichen oder dramatischen Konzepte an die Oberfläche zu bringen, so dass der Hörer sie auf einfache Weise wahrnehmen kann.
Ich bin der Meinung, dass auch ein großes Orchester wie ein Kammermusikensemble funktionieren sollte. Und wenn ein Dirigent klare und präzise Anweisungen gibt, dann hilft das meiner Ansicht nach den Musikern dabei, das bestmögliche Resultat zu erzielen.
Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an Enno Poppes Musik?
Das Herausragende an Enno Poppe ist für mich sein Gespür für mikrotonale Harmonien und Klangfarben. Zudem ist jedes seiner Stücke narrativ – in dem Sinne, dass etwas Interessantes und vielleicht Unerwartetes passiert, das den Anfangspunkt einer aufregenden Reise markiert.
Sie haben Phiippe Manourys Zones de Turbulences uraufgeführt. Nun dirigieren Sie die neue Version von Sound & Fury. Was interessiert Sie an Manourys Musik?
Für mich ist Manoury der direkte Nachfolger von Boulez und damit das nächste Bindeglied einer großen Tradition. Manoury hat ein hervorragendes Gespür für die Arbeit mit verschiedenen harmonischen Sprachen. Er hat die Sprache der Zweiten Wiener Schule weiterentwickelt. In seiner Musik findet man eine sehr verlockende bunte harmonische Mischung. Zudem hat er ein wundervolles Gespür für die Farben und Textur eines Orchesters.
Wie würden Sie Manourys Musik jemanden erklären, der sie noch nie gehört hat?
Sie ist ein faszinierendes und verlockendes Labyrinth, handwerklich hervorragend mit einem verführerischen Empfinden für kraftvolle und poetische Stimmungen.
Würden Sie sagen, dass sich die Wahrnehmung von zeitgenössischer Musik verändert hat?
Natürlich gibt es immer noch Menschen, die nicht gerne mit Musik konfrontiert werden, die für sie neu oder ungewohnt ist. Aber generell habe ich das Gefühl, dass sich mehr Menschen als jemals zuvor für Musik verschiedener Stilrichtungen interessieren: also sowohl für Alte Musik als auch für das traditionelle Repertoire und ganz unterschiedlicher Neue Musik. Ich sehe das vor allem bei jüngeren Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren – auf jeden Fall ist diese Entwicklung sehr inspirierend.
Das Jahr 2016 neigt sich dem Ende zu. Was waren Ihre persönlichen Höhepunkte?
Es gab für mich viele Höhepunkte in diesem Jahr, darunter verschiedene Debüts, zum Beispiel beim Royal Concertgebouw, San Francisco Symphony, Danish National Symphony und Barcelona Symphony Orchestra sowie dem Maggio Musicale Fiorentino. Mit meinem eigenen Ensemble Signal hatte ich zudem wundervolle Aufführungen, unter anderem beim Lincoln Center Summer Festival und im Miller Theatre.
Photo: Stephanie Berger