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Interview: Bernhard Lang

Interview: Bernhard Lang

Bernhard Langs neues Musiktheaterwerk ParZeFool – Der Thumbe Thor wird am 4. Juni 2017 in der Regie von Jonathan Meese und unter der musikalischen Leitung von Simone Young im Rahmen der Wiener Festwochen uraufgeführt. In diesem Interview spricht der Komponist über die Entstehung des Werks.


Warum Richard Wagner und warum Parsifal?

Einerseits geht meine persönliche Beschäftigung mit dem Thema auf die 1980er-Jahre zurück. Damals hatte ich eine wagnerianische Phase, in der ich mich durch sein gesamtes Werk durchgearbeitet habe. Die Begriffe „Entzeitlichung“, „unendliche Melodie“, das grenzenlose „ins Nichts Hineingehen“ in der Musik waren für mich wesentlich und faszinierend. Der Parsifal und der Tristan waren natürlich die Hauptgegenstände meines Interesses. Vor allem stellte die Musik des Parsifal für mich harmonisch ein Wunderwerk dar. Der Tristan ist harmonisch ab einem gewissen Punkt verständlich, aber der Parsifal wirft Rätsel auf, die auf die spätere impressionistische Harmonik verweisen. Das hat mich total fasziniert. 

Danach kam die Verkaterung. Denn je genauer man Wagner liest, desto näher kommt man diesen Bösartigkeiten, die in seinen Werken verborgen sind, wie dem Überdruss und der Menschenfeindlichkeit – all diese Dimensionen, die später zu den politischen Lesarten geführt haben. Beim Parsifal sind sie in die Märchenwelt eingebettet und auf den ersten Blick nicht so sichtbar. Man bemerkt sie erst, wenn man das Werk ein wenig genauer betrachtet und die magische Oberfläche durchbricht. Kurz gesagt, ist das Hitler-Zitat „Wer Wagner nicht versteht, versteht das Dritte Reich nicht“ nicht ganz grundlos. 

Das Thema der Über- und Neuschreibung von Werken war insgesamt in den letzten zehn Jahren ein großes Thema für mich. Der Parsifal ist der krönende Abschluss dieser ganzen Bearbeitungsserie, auch was den Umfang betrifft ist er als geschlossenes Stück das längste.

Bei Wagner sind Text und Musik aufs Engste miteinander verschränkt. Wenn man den Text verändert, verändert man auch die ganze Dramaturgie und die Proportionen des Werkes.

Es ist interessant, dass Sie die Proportionen ansprechen. Ich habe sie genau nach einer Pierre-Boulez-Aufnahme nachgestellt, die restlichen Proportionen sind exakt die gleichen wie bei Wagner. Ich benutze nur die Technik der Ellipse, lasse große Textteile einfach aus, ersetze sie durch Textloops und stelle so mit den Loops die zeitliche Originalgestalt wieder her. Das war ein Verfahren, das wir – d. h. Jonathan Meese und ich – schon vorab vereinbart hatten, nämlich dass wir uns auf die wenigen Kernsätze konzentrieren. Die Linearität der Erzählung wird durch die Looptechnik ersetzt. So wird eine neue Struktur geschaffen – wobei gerade diese Technik große Affinität zur Wagnerschen Wiederholungs- und Leitmotivtechnik sowie zu der unendlichen Melodie aufweist. Dass die Erzählung per se umgedreht und verändert wird, ist etwas, das vermutlich nur der Leser der Partitur feststellen kann. Natürlich ist es ein Akt der Subversion, das ist klar. Ich habe diese Subversion mit dem Wagnertext vollzogen, indem ich einzelne Silben darin ausgetauscht habe. Zum größten Teil ist es aber der originale Text.

An zentralen Textstellen wird der Wagner-Text neu kontextualisiert. Bei dem zentralen Satz „Durch Mitleid wissend der reine Tor“ im 1. Akt etwa tauchen bei Ihnen die Namen „Schopen/Hauer“ und „Gautama Buddha“ auf. 


Das ist eine Technik, die von Jonathan Meese inspiriert ist. Ich war in Berlin in seinem Atelier im Prenzlauer Berg und habe dort seine Parsifal-Bilder gesehen, noch bevor ich zu komponieren begonnen habe. Diese Parsifal-Bilder sind großformatige energetische Eruptionen und tragen alle Inschriften. In der Inschrift liegt der Kommentar, der dann auch im Bild auftritt und den Kontrapunkt zum Bildlichen/Bildhaften darstellt. Es ist eine Technik, in der Programme, Mottos, Aufschrei und Marginalien im Bild selbst auftreten. Diese Marginalien habe ich ins Stück hineingebracht als meine Randanmerkungen und in den Chor verlagert. Wenn es „Gautama Buddha“ heißt, ist es natürlich eine Anspielung auf das letzte Drama von Wagner, Die Sieger, ein Buddha-Drama. Der Erlösungsgedanke, der von Schopenhauer kommt, der beim Tristan zuerst sexuell gedeutet ist und im Parsifal eine Umdeutung in Richtung eines falsch verstandenen Buddhismus, einer falsch verstandenen fernöstlichen Philosophie erfährt, führt zu solchen Randbemerkungen wie der mit dem Gautama Buddha. Das sind alles kleine Kommentare, die eigentlich sehr kryptisch und auf einer geheimen Ebene bleiben, und die im Bühnengeschehen fast untergehen werden. Es bleibt alles subkutan. 

Auch bei den letzten gesungenen Worten haben Sie eine subtile Veränderung vorgenommen. Denn es heißt nicht mehr wie bei Wagner „Erlösung dem Erlöser“, sondern „Erlösung von Erlösern“.

Das ist genau der Punkt. Ich war so stolz darauf, dass ich diese Umdrehung mit der Erlösung von Erlösern entdeckt habe. Nun habe ich aber entdecken müssen, dass es nicht ganz von mir ist. Schon Nietzsche hat – direkt auf Wagner bezogen – von der „Erlösung vom Erlöser“ gesprochen. Bei mir ist es aber abstrakter gedacht, es geht um eine allgemeine Erlösung von Erlösern. Die ganze pseudo-religiöse Dimension wird in dieser Wagner-Oper, die den Erlöser, den Messias zitiert, kontrapunktiert, was die ganze Geschichte umdreht. Streng genommen ist in der ganzen Erzählung ein logischer Fehler: Der reine Tor ist der Unschuldige, der jenseits des moralischen Gesetzes steht, so wie der Narr bzw. der Tor, den Nietzsche im Zarathustra zitiert. Dieser Tor verliert seine Torheit und Unschuld und wird ein Beamter, wird Gralskönig, der über alles richtet, wo alles stimmt und alle erlöst sind. Aber die Synthese von Torheit, Reinheit, Unschuld und der Transzendierung des Moralgesetzes findet bei Wagner nicht mehr wirklich statt. Parsifal ist einfach der neue Amfortas und das war es dann. Die ganze Verherrlichung, das Besingen des reinen Tors, bricht plötzlich ab. Für mich war wichtig, den reinen Tor – bei mir heißt er der „tumbe Tor“ – bis zum Schluss einen Tor bleiben zu lassen. Darum kriegt zum Schluss auch die Kundry den Parsifal. Das ist die eigentliche Umkehrung.

Wo treffen sich Ihre Looptechnik und die Leitmotivtechnik Wagners?

Das ist nicht so zu verstehen, dass ich die Leitmotive loope. Es ist im Gegenteil eher so, dass ich Passagen loope, die bei Wagner gar nicht zentral stehen. Ein gutes Beispiel ist der Satz: „Fleckenrein, so muss es sein.“ Das ist eine Textstelle, die bei Wagner keine große Bedeutung hat. Bei mir wird sie aber geloopt. Was passiert dadurch? Es ist kein neues Leitmotiv, aber der Text wird plötzlich zerlegt. Im Chor tritt plötzlich das „White Stains“ auf, das wiederum ein Zitat aus einem anderen Werk ist. Die Fokussierung und Defokussierung von Inhalten spielt auf unterschiedlichen Ebenen eine Rolle. Es gibt ganz unterschiedliche Arten und Weisen, mit diesem Wiederholungsprinzip umzugehen. 

In den dreieinhalb Stunden habe ich alles, was mir zur Verfügung stand, je nach Situation eingesetzt. Durch die Looptechnik entstehen Spalten und Ritzen in Text und Handlung und Bedeutungen tauchen auf, die man vorher nicht wahrgenommen hat. Wenn es funktioniert, ist es genau das, worauf ich abziele. Ich nenne es „semantische Explosion“, dass man plötzlich neue Schichten und Bedeutungskontexte herauslesen kann. Das kann in alle Richtungen losgehen. Es kann ironisierend, nervend, bedrohlich sein, es ist nicht vorhersehbar, was da passiert. Es ist so was wie ein temporäres Mikroskop, durch das man in die Zeit hineinschaut und plötzlich Dinge in der Musik entdeckt, die man in der Form vorher nicht lesen konnte. Das ist die große Utopie, die hinter solchen Dingen steht, der neue Blick auf das alte Material, das vermeintlich schon zu oft gesehen wurde.


Das Gespräch führte Barbara Barthelmes.
Das Interview wurde erstmals veröffentlicht im Magazin „Immersion“ der Berliner Festspiele.

Jonathan Meese / Bernhard Lang / Simone Young
MONDPARSIFAL BETA 9–23
(VON EINEM DER AUSZOG, DEN “WAGNERIANERN DES GRAUENS” DAS “GEILSTGRUSELN” ZU ERZLEHREN…)
15., 16. & 18.10.2017
Haus der Berliner Festspiele
berlinerfestspiele.de


ParZeFool - Der Thumbe Thor (2016)
Musiktheater für Stimmen, Chor, Ensemble und 2 Jazz-MusikerInnen
nach Richard Wagners Parsifal
UA: Wien (Wiener Festwochen), 04.06.2017
Dauer: 200'


Komponistenprofil: Bernhard Lang


Foto: Harald Hoffmann