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Klaus Huber: Schwarzerde

Klaus Huber: Schwarzerde

In Schwarzerde erzählt Klaus Huber keine lineare Geschichte, mit einer nachvollziehbaren Handlung. In neun Sequenzen verwebt er stattdessen Situatives, Gedichte, surreale Dialoge und Gedankensplitter. Das Libretto von Michael Schindhelm verwendet dabei drei Sprachen: deutsch, russisch und armenisch. Vertont hat Klaus Huber Gedichte und Prosatexte von Ossip und Nadeshda Mandelstam sowie von Marina Zwetajewa und Anna Achmatova - russische Dichter, die zur Gruppe der Akmeisten gehörten. Diese hatte sich ab 1911 gebildet und wollte mit einer neuen Ästhetik die Mystik und den Okkultismus des Symbolismus überwinden, Ziel des Akmeismus war Gegenständlichkeit und Klarheit der Darstellung. 

Problematisch wurde für die Mandelstams die Zeit nach der Oktoberrevolution, es fehlte überall an Geld, abwechselnd lebten sie in Moskau, Petersburg und Tiflis. Dennoch entstanden zahlreiche Gedichtsammlungen, zugleich Dokumente ihrer ungeheuer großen Vielseitigkeit. Das Prosastuck Rauschen der Zeit von Ossip Mandelstam aus dem Jahr 1925 spiegelt sein Gefühl der Fremdheit im sowjetischen System wider – im Gegensatz zu Achmatowa und anderer Dichter durften seine Bucher in den 1920-er Jahren jedoch noch erscheinen. Das änderte sich mit Beginn der Säuberungswelle Stalins, 1934 wurde er zum ersten Mal verhaftet. Mandelstams Selbstmordversuch bewirkte eine relativ milde Strafe, und er wurde ≫nur≪ nach Woronesch verbannt, seine letzten Gedichte, die Woronescher Hefte, entstanden hier. Im Mai 1938 wurde er schließlich zu fünf Jahren Lagerhaft wegen konterrevolutionärer Aktivitäten verurteilt, sieben Monate später, an Weihnachten, starb er, halb verhungert, herzkrank, von Halluzinationen gequält. Er wurde in einem Massengrab beerdigt. Die Uraufführung fand am 3. November 2001 am Theater Basel statt. 

Im Programmheft schrieb Max Nyffeler: ≫Einige thematisch bedeutsame Aspekte finden eine unmittelbare Entsprechung in kompositionstechnischen Verfahren. Zum Beispiel die zunehmende Einengung des Lebenshorizonts, die auf Mandelstams Dichtung mit einer Ausweitung des inneren Raumes antwortete. Dort, wo der Klang ins Verstummen übergeht, wachst ein ungeheurer Reichtum an musikalischen Gestalten, Klangfarben und Ausdrucksnuancen. Die Musik drängt nicht zielgerichtet voran, sondern breitet sich aus. Veränderungen sind nicht das Resultat dynamischer Entwicklungen, sondern sie geschehen abrupt, blitzartig. Den katastrophischen Einschlägen wohnt aber auch in dialektischer Weise ein utopisches Moment inne. Sie verweisen zugleich auf das, was anders sein konnte. Die unerhört fein geschliffene Musik ist wie Mandelstams Dichtung ein Bekenntnis zum Leben, und gerade in ihrer Zerbrechlichkeit schärft sie das Bewusstsein für den Verlust an Humanität, der uns heute mehr denn je bedroht.≪

Schwarzerde (1997-2001)
Bühnenwerk in neun Sequenzen
Text: Michael Schindhelm in Zusammenarbeit mit Klaus Huber, basierend auf Gedichten und Prosatexten von Ossip Mandelstam
Soli: Parnok (Bbar), Knabe (Ct), Nadja (Ms), Anna (A), Natalja (S), Offizier (Spr/T)
sechs Einzelstimmen: S. Ms. A. T. Bar. B. / großer Chor SATB / 2. 2. 1. Bkl. Bassh (auf der Bühne).
2. / 2. 2. 2 (1 auf der Bühne). 1. / Hf. Theorbe (Git) (auf der Bühne). Pk. 3 Schlzg (1 auf der Bühne). / 5. 4. 3. Vla d'am (auf der Bühne). 2. 2. / Tonb.
Uraufführung: 3.11.2001, Basel / Dauer: abendfüllend
Sy. 3509 Partitur / Kla. / Sti. / Tontr.





Foto:  Harald Rehling