Zwei Ensemblewerke von Reinhard Febel kamen im Januar in Salzburg zur Uraufführung. In seinem Zyklus
Bright Star vertont Febel Dichtungen von John Keats, dessen Werk den Komponisten schon seit Jahrzehnten bewegt. Das ensemble mosaik präsentierte
Bright Star gemeinsam mit drei Solisten des PHØNIX16-Sängerkollektivs.
Bei
Slumberland verarbeitet Febel einen Meilenstein der Comicgeschichte aus Winsor McCays
Little-Nemo-Reihe. Unter Leitung von Marino Formenti trafen bei der Uraufführung im Solitär des Mozarteums sechs Pianisten an zwei Flügeln auf Mitglieder des Ensembles für Neue Musik.
Bright Star (2018)
für Ensemble
nach Texten von John Keats
S, T, B, ob, sax, vl, vc, pf
Dauer: 40'
Uraufführung: 15.01.2019, Salzburg
UA von Bright Star, Salzburg 2019
Zum Werk
Meine Beschäftigung mit Keats´ Werk geht viele Jahrzehnte zurück. Die erste Wohnung, die ich in London hatte, lag nur einige Steinwürfe von Keats´ Haus entfernt, beides in der Nähe von Hampstead Heath, der einstmals wilden Heidelandschaft, in der Keats spazierte, heute mitten in der Großstadt gelegen. Wieder begegnete mir der Dichter in Rom bzw. dessen Grabstein, auf dem nach Keats´ eigenem Wunsch die Worte stehen: "here lies one whose name was writ in water" – so auch der Titel eines der Stücke im Zyklus
Bright Star. Zwischen London und Rom (1795–1821) schuf Keats atemberaubende Dichtungen, die in der Form und Ausdruck untrennbar und auf für mich unwiderstehliche Art verschmelzen.
—Reinhard Febel
Partitur von Bright Star
Slumberland (2018)
für Ensemble
2pf (6Spieler), fl(auch picc), cl(auch bcl), vc, perc
Dauer: 35'
Uraufführung: 25.01.2019, Salzburg
UA von Slumberland, Salzburg 2019
Zum Werk
Zum Hintergrund der Idee: Mit den sechs Pianisten, die sich an zwei Klavieren gerade noch platzieren lassen, habe ich sechzig (sechs mal zehn) Finger, die also einen beträchtlichen Teil der Tastaturen abdecken können. Ich möchte sie sozusagen digital behandeln, das heißt: in dem Stück käme es nicht so sehr auf traditionelle Klaviertechnik an, sondern jeder Finger würde mehr oder weniger nur eine Taste bedienen, also sozusagen nur einen on- oder off-Modus kennen. Dadurch lässt sich eine komplexe Wolke von Tonpunkten erzeugen.
Aus dieser Wolke steigen dann sechs „Stücke“ der „Träume“ auf, je ein Duo mit einem Pianisten und einem Soloinstrument: Piccolo, Flöte, Klarinette, Bassklarinette, Violoncello, Schlagzeug plus jeweils ein Pianist, wobei die anderen Spieler dann etwas zur Seite rücken oder gar zu Boden sinken oder Ähnliches – insofern hätte das Ganze möglicherweise auch eine inszenatorische Komponente.
Das
Slumberland verfolgt mich schon seit Jahrzehnten: zum einen ist es ein Meilenstein des Comic, die legendäre Beilage zum New York Herald seit 1905, gezeichnet von Winsor McCay. Jede der Hunderten von Seiten folgt demselben Muster: ein Junge, der kleine Nemo, liegt in seinem Bettchen, schläft ein und reist in das
Slumberland, wo er jedes Mal ein anderes Abenteuer erlebt, das meistens mit einem Sturz endet, wonach er in seinem Bett erwacht. Ich habe ein Foto von einer Seite angehängt.
Slumberland ist auch eine der ältesten Diskotheken von Berlin und befindet sich unten in dem Haus, in dem wir in Berlin wohnen, ein seltsamer Zufall. Und Nemo – Niemand – spielt natürlich auch an auf die Irrfahrten des Kapitän Nemo bei Jules Verne in 20 000 Meilen unter dem Meer, über welchen ich schon ein Schlagzeugsolostück geschrieben habe: Capitaine Nemo.
Und dann interessieren mich natürlich die beiden Sichtweisen: sind Nemos Reisen (die Soli mit Klavierbegleitung im Stück) die Träume, und das Klangkontinuum der 6 Pianisten ist die Realität?; oder ist das Leben selbst der Traum, und die Wirklichkeit woanders, was zum Beispiel die amerikanischen Indianer sagten, siehe aber auch Hugo von Hofmannsthals Drama Der Turm, welches wiederum auf dem barocken Drama Das Leben ein Traum von Calderon basiert. Und ... und ... und. Ein weites Feld …
Ganz zu schweigen von der Vorstellung, die mich manchmal befällt: dass wir nämlich am Grunde eines kollektiven Alptraums leben: die Natur wird vergiftet, die Lebewesen sterben eines nach dem anderen aus, Armut, Hunger und Krieg überall, die Menschen vermehren sich milliardenweise, als ob es zehn Erden gäbe – Aufwachen scheint unmöglich, die Vernunft tot, schon immer? Und diesbezüglich das Gefühl, dass Kunst, die noch etwas bewirken könnte, nur noch eine Kunst der Verzweiflung wäre, was ich aber nicht will.
Diese Gedanken können und sollen in der Komposition natürlich nicht konkret ausgedrückt oder gar illustriert werden. Es sind Anregungen zur Komposition, aber auch zur eventuellen Darstellung auf einer Bühne.
—Reinhard Febel
Partitur von Slumberland
Photos: Jelisveta Pesic (Bright Star), Temirlan Beisenbay (Slumberland)