No results

Febel, Reinhard


*3.7.1952 Metzingen

Geboren 1952 in Metzingen und aufgewachsen in Deutschland; Lebt in Berlin und Salzburg.
1979 Beginn des Studiums in Freiburg bei Klaus Huber
1979 Stipendiat der Heinrich-Strobel-Stiftung des Südwestfunks
1980 Beethoven-Preis der Stadt Bonn; Kompositionspreis beim Kompositionsseminar Boswil (Schweiz)
1982 Teilnahme an den Kursen für Computermusik am IRCAM Paris
1983 Kompositionsauftrag der Bayerischen Staatsoper München für die Kammeroper "Euridice"; Vorträge, Seminare, Konzerte in Argentinien, Uruguay, Chile und Peru mit dem Goethe-Institut
1984 Stipendiat der Villa Massimo Rom; Preisträger der Steinbrenner-Stiftung Berlin
1985 Kompositionsauftrag für das Jugendorchester der europäischen Gemeinschaft; Uraufführung der "Sinfonie" bei den Donaueschinger Musiktagen
1987 Musik zum Fernsehfilm "Der Zauberbaum" nach Peter Sloterdijks Roman
1988 Uraufführung der Oper "Nacht mit Gästen" nach Peter Weiss an der Kieler Oper; Preisträger des Stamitz-Preises; Schallplattenproduktion des Deutschen Musikrates; Kompositionsauftrag für das Bundesjugendorchester zu dessen zwanzigjährigem Bestehen
1989 Professur für Komposition und Musiktheorie an der Musikhochschule Hannover; Beginn der Zusammenarbeit mit dem Librettisten und Regisseur Lukas Hemleb ("Sekunden und Jahre des Caspar Hauser" und "Morels Erfindung")
1992 Niedersächsisches Künstlerstipendium
1993 Studienaufenthalte in Kamerun und Südafrika
1994 Gastvorlesungen in Wellington und Auckland (Neuseeland) und in Riga
1995 Kompositionskurse in La Paz (Bolivien) und am CEAMC in Buenos Aires
1997 Workshops und Gastvorträge in Houston, Taipei und Kyoto; Professur für Komposition am Mozarteum Salzburg
2000 Gastdozent an der Hacettepe-Universität in Ankara
Seit 2000 vierhändiges Klavierduo mit der Pianistin Isabel von Jakubowski
2001 Gastdozent an der Universität Natal, Durban
2002 Gastdozent am Konservatorium Skopje, Mazedonien. Arbeit an einer Kinderoper nach eigenem Libretto: Herr Daunander und Glotze
2003 Uraufführung des "Wolkenstein" in der Philharmonie Berlin. Gastdozent an der Universität Stellenbosch, Südafrika
2005 Gastdozentur an der Universität Edinburgh, der Universität Stellenbosch, Südafrika und dem CEAMC Buenos Aires. Meisterkurs Komposition bei der Salzburger Sommerakademie
2006 Gastkurse an den Konservatorien Udine, Italien und Sevilla, Spanien
2007 Uraufführung der Kammeroper “Gespensterhaus” am Toihaus in Salzburg 
2008 Masterclass bei den Sommerkursen Presjovem in Cordoba, Spanien, Gastkurs am Konservatorium von Sevilla, Spanien 
2009 Kompositionskurs an der Ensembleakademie in Frankfurt, Uraufführung der drei Kammeropern “Morde in Bildern” an der Kieler Oper sowie “Giftiger Fisch,” erste Kurzgeschichtensammlung 
2011 Gastkurs an der Musikhochschule Frankfurt, Masterclass am Konservatorium in Riga, Lettland sowie “Die alten Samurai,” Roman 
2012 erste eigene Opernregie: “Morde in Bildern” an der Würzburger Oper, sowie “Der Klang des Verbotenen,” Roman über Domenico Scarlatti
2013 Gast an der Kyoto City University of Arts
2014 Studienaufenthalt für einen neuen Roman (“Krähenschrei” – erscheint 2018) an der österreichischen Botschaft in Tokyo 
2015 Gastkurse und Gastvorlesungen in Riga, Lettland, in Kyoto, Japan sowie Daegu, Südkorea. “Schöpfung Plan B,” zweite Kurzgeschichtensammlung
Seit 2017 in Arbeit: “Purpursegel,” Oper nach dem gleichnamigen Roman von Alexander Grin sowie “Slumberland, Zyklus für sechs Pianisten und Ensemble. 2018 “Krähenschrei,” Roman über den Zen-Mönch Ikkyu Sojun, Masterclass am Conservatorio Niccolò Picinni in Bari, Kompositionskurs am Conservatoria di Musica Sevilla. Kompositionsauftrag “dispassion” für das Ensemble Plural in Madrid, UA 2019

 

 

Foto: Shahriyar Farshid

Zur Musik von Reinhard Febel 

Text von Rainer Nonnenmann (2003)

Reinhard Febel bewegt sich zwischen Generationen, Kulturen, Stilen und Sparten. Während die Vertreter der „Neuen Einfachheit” in den 1970er Jahren dezidierte Struktur- und Materialkonzepte ablehnten, weil diese im Serialismus übermäßig strapaziert worden waren, strebte Febel nach einer Vereinigung von historisch-kritischer Materialreflexion und konstruktiver Strukturbildung mit unmittelbar erleb- und nachvollziehbaren Klang- und Formverläufen. Das gilt für seine frühen Werke wie das Sextett (1977) ebenso wie für spätere, etwa die Fünf Stücke für Streichquartett (2000). Im Unterschied zu seinen Altersgenossen, die Tonalität als geschlossenes System oder neo-romantischen Stil wiederzubeleben versuchten und sich dabei an Schubert, Mahler oder Berg orientierten, entdeckte Febel das dialektische Strukturdenken Helmut Lachenmanns für sich und war dementsprechend darum bemüht, neue Klangstrukturen gezielt in Reibung mit bereits bestehenden Traditionen, Stilen und Formen zu entwickeln. Zudem begriff er Tonalität stets nur als neutrales Material, das neben anderen Techniken und Materialien aus dem Fundus der älteren und jüngeren Musikgeschichte gleichberechtigt verfügbar sein sollte. 

Anstelle der rigorosen Atonalität des Serialismus und des restaurativen Komponierens „in” Tonalität propagierte er ein postmodernes Komponieren „mit” Tonalität, das die avantgardistische Fortschrittsideologie überwindet, ohne in traditionelle Musiksprachlichkeit zurückzufallen. Statt des exklusiven Materialbegriffs der Nachkriegsavantgarde plädierte er in zahlreichen Essays für ein inklusives Komponieren. Indem er scheinbar objektiv notwendige Tendenzen des Materials sowie geschichtsphilosophische Legitimationen des vermeintlich irreversiblen Umschlags von der Tonalität zur Atonalität zu Beginn des 20. Jahrhunderts als willkürlich ablehnte, sprach er sich zugleich für eine universelle Öffnung des avantgardistisch verengten Geschichts- und Materialbegriffs aus. 

Die pluralistische Denkungsart schlug sich in etlichen seiner Stücke nieder. Den Verlauf von Charivari (1979) gestaltete er zum Beispiel als zeitgeraffte Projektion der realen Musikgeschichte von Dufays Vokalpolyphonie über barocke Fugentechnik, klassischen Quartettsatz, spätromantische Klangfülle und Anton Weberns punktuellen Stil bis hin zu Luciano Berio und György Ligetis Klangflächenkomponieren. Seine Kammeroper Euridice (1982/83) bezog er in unterschiedlichen Annäherungs- und Entfernungsgraden auf das gleichnamige Schlüsselwerk der Gattung Oper von Jacopo Peri aus dem Jahr 1600. In den Variationen für Orchester (1980) entfaltete er eine tonale Liedvorlage und im Konzert für Schlagzeug (1981) verfremdete er Quintfallsequenzen durch übertriebene Beschleunigung so weit, dass aus dem durchweg tonalen Material atonale Strukturen folgten. In der Étude d‘exécution transcendante für vierzehn Instrumente (1979) thematisierte er das Aufkommen und Verschwinden von Tonalität bzw. Atonalität durch einen bogenförmig um einen langen H-Dur-Akkord kreisenden Klangverlauf, in Innere Stimmen für Klavier (1982) zitierte er Robert Schumanns Humoreske op. 20, und im dritten der Drei Lieder für Sängerin, Sprecherin, Klavier und Tonband (1982) montierte er aus kurzen Zitaten verschiedener Werken von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Johannes Brahms eine von h-Moll durch den gesamten Quintenzirkel wieder nach h-Moll zurücklaufende Quintfallsequenz. 

Auch mit der amerikanischen Minimal Music hat Febels Musik wenig gemein, obwohl Polyphonie für Violine solo (1980) und das Streichquartett (1981/82) durch die unabhängige Behandlung von Griff- und Bogenhand über weite Strecken aus rhythmisch-melodischen Patterns bestehen. In der Sinfonie (1985/86) entstehen pointillistisch flirrende Klangkontinuen durch punktuelles Aufsplittern tonaler Akkorde auf den gesamten Orchesterapparat. Im Gegensatz zum Minimalismus zielte Febel jedoch stets auf spontanen Einfallsreichtum, auf Emotionalität und die Darstellung außermusikalischer, zumal episch-dramatischer Gehalte. Aus diesem Grund suchte er neue Arten des Umgangs mit Sprache und Text. In Das Unendliche (1984) handhabte er zwei Singstimmen quasi instrumental, das Orchester dagegen sprach analog mit entsprechend konsonantischen bzw. vokalischen Artikulationsweisen. Ähnlich verfuhr er in Joker für Sopran und fünf Instrumente (1986) und Auf der Galerie für elf Streicher (1985), wo die formalen, syntaktischen und semantischen Strukturen des gleichnamigen Textes von Franz Kafka wie als „Tonspur zu einem Film” in einen quasi erzählenden Klangverlauf transponiert sind. Statt Sprache zu musikalisieren soll Musik versprachlicht werden. Auch in weiteren Instrumental- und Vokalwerken erweist sich Febel als ausgesprochener Musikdramatiker, der den programmatischen Rahmen seiner Stücke gelegentlich durch Angaben zur Raum-, Bewegungs- und Lichtregie ergänzt, etwa in Winterreise (1992), Die vier Zeiten (1993), Capitaine Nemo (1999) und Wolkenstein (2002). 

Schon früh zielte Febel auf musikdramatische Konzeptionen. Bisher hat er sieben Opern vollendet. Während er sich in seinen ersten Bühnenwerken Euridice (1983), David und Gollert (1987) und Nacht mit Gästen (1987/88) noch weitgehend an einer epischdramatischen Opernästhetik orientierte, arbeitete er in Sekunden und Jahre des Caspar Hauser (1991/92) und Morels Erfindung (1993/94) mit verschiedenen Realitäts-, Zeit- und Klangebenen und in Beauty (1995/96) mit Verfahren epischer Verfremdung und Distanzierung. Für die „Science-Fiction-Oper” Lichtung (2000) entwickelte er in Anlehnung an die statische Filmsprache Andreij Tarkowskis eine unkonventionelle Dramaturgie irreal getrennter Schichten von Musik, Gesang, Text und Handlung. Gegenwärtig in Arbeit befinden sich an den Grenzen von Theater, Oper und Musical die „Kinderoper” Herr Daunander und Glotze (2002/03) sowie die Boxoper Die sieben Feen (2003/04). 

Anfang der 1990er Jahre machte Febel Bekanntschaft mit außereuropäischer Musik und besann sich auf rhythmische Strukturen und deren körperliche Wirkungen. Seine musikalischen Erfahrungen auf Reisen durch Afrika und Südamerika fanden direkten kompositorischen Niederschlag im Finale der Vier Stücke für Violine und Orchester (1994) sowie einigen Stücken der Piano Books I-III (1986-94) und dem Percussion Book (1994/95). In "Analogie zum Komponieren" „mit” Tonalität komponierte er jetzt nicht mehr „in”, sondern „mit” Rhythmus, Metrum, Tempo und Tonhöhe. Statt die einzelnen Parameter für eine gesamte Komposition zu fixieren, unterzog er sie in den Sonatas 1-7 für Klavier (2000-02) und Maelstrom für zwei Klaviere (2002) dynamischen Prozessen. Durch kontinuierliche Glissando-, Zeit- und Tempoverläufe werden selbst starre Strukturen und Wiederholungsmuster – wie die Vorlage zur Fantasie über ein Thema von Franz Schubert für Orchester (1997) – ständig in Bewegung gehalten und verändert. Während im ersten der beiden Stücke Sculpture / Motion Picture für neunzehn Streicher (1998) vereinzelte Töne analog der sukzessiven Betrachtung einer Skulptur von allen Seiten beschleunigt und auf den Zeitverlauf projiziert werden, fügen sich im zweiten Stück zunehmend beschleunigte Einzelbewegungen zu einem polyphonen Gesamtbild. Weiter entwickelt Febel diesen Ansatz gegenwärtig in Sphinxes für Orchester (2003).