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 Francesconi: Quartett – Premiere in Dortmund

Francesconi: Quartett – Premiere in Dortmund

Am 18. April feiert Luca Francesconis Erfolgsoper Quartett seine Deutschlandpremiere am Theater Dortmund. Die Oper ist inspiriert von dem gleichnamigen Theaterstück von Heiner Müller, das sich auf den Briefroman "Les Liaisons Dangereuses" (1782) von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos bezieht. Die Produktion läuft mit weiteren Aufführungen bis zum 17. Mai.

Seit 2011 wurde Quartett als Auftragswerk der Mailänder Scala und der Wiener Festwochen mehr als 60-mal in fünf verschiedenen Produktionen aufgeführt. Eine völlig neue Produktion entstand unter der Regie von Ingo Kerkhof für das Theater Dortmund. Die Rolle der Marquise de Merteuil wird dabei von Allison Cook verkörpert, Bariton Christian Bowers ist als Vicomte de Valmont zu erleben. Die musikalische Leitung übernimmt Philipp Armbruster.

Im Vorfeld der Premiere hatten wir Gelegenheit mit dem neuen Intendanten der Dortmunder Oper, Heribert Germeshausen, zu sprechen.

Interview

Sie haben mit dieser Spielzeit an der Oper Dortmund als Intendant begonnen. Bis jetzt finden sich hauptsächlich Stücke aus dem Repertoire – Puccini, Rossini, Bernstein… – auf dem Spielplan. Mit Francesconis Quartett haben Sie sich für ein zeitgenössisches Werk entschieden. Was hat Sie dazu bewogen?
In der ersten Hälfte meiner ersten Spielzeit ging es mir vor allem darum, Vertrauen aufzubauen. Dortmund ist für die Kunstform Oper kein leichtes Pflaster, für zeitgenössische Oper schon gar nicht. Die Oper hat zu dem Zeitpunkt, als ich meine Intendanz antrat, gerade einmal 86 Premierenabonnenten und das bei einem Haus mit 1.170 Plätzen. Das bedeutet, dass unsere Zuschauerzahlen hauptsächlich über den Freiverkauf generiert werden müssen. Aus diesem Grund war mir zu Beginn wichtig, unserem Publikum zu vermitteln: Die Oper Dortmund verfügt über ein außergewöhnlich gutes Ensemble, das fallweise um einige herausragende Gäste ergänzt wird. Mit diesen Künstlern sind wir in der Lage, die Meisterwerke des Genres in stilistisch unterschiedlichen, aber immer sinnlichen Regiehandschriften auf die Bühne zu bringen. Nachdem wir jetzt in fünf Premieren diesen Beweis angetreten sind, warten mein Team und ich in der zweiten Spielzeithälfte mit drei zeitgenössischen Opern auf. Die Deutsche Erstaufführung von Luca Francesconis Quartett ist dazu ein Auftakt mit Paukenschlag.

In einem Interview mit The Guardian hat Francesconi zu seiner Oper gesagt: “This piece is violent, it’s sex, it’s blasphemy, it’s the absence of mercy.” Stimmen Sie dem zu? Wie stehen Sie selbst persönlich zu dieser Oper?
Wer könnte dem Komponisten hier widersprechen? Für mich persönlich ist Quartett eine der packendsten Opern der 2010er Jahre. 

Francesconi Quartett a Dortmund


Quartett ist eigentlich schon öfter international auf die Bühne gebracht worden – zum Beispiel an der Mailänder Scala, in den USA, am Royal Opera House in London. Sie machen nun die deutsche Erstaufführung. Was können wir von der Dortmunder Inszenierung von Francesconis Oper erwarten? 
Faszinierend an Quartett ist u. a. die Vielschichtigkeit von Vorlagen und Werk. Basierend auf Pierre Choderlos de Laclos Briefroman "Les Liaisons dangereuses" von 1782 (1. Ebene) schreibt Heiner Müller 1981 Quartett  (2. Ebene), setzt es in einen neuen politischen Kontext (vor der französischen Revolution/nach dem 3. Weltkrieg). Luca Francesconi richtet sich den Text in einer englischen Übersetzung ein (3. Ebene) vertont ihn (4. Ebene). Dazu wird Ingo Kerkhof auf einer 5. Ebene eine sehr pure, musikalische und die politischen Dimensionen dabei nicht ausblendende Regie ersinnen, die sich deutlich von der sehr Technik-dominierten Inszenierung etwa der UA durch Alex Ollé unterscheiden wird.

Seit über 20 Jahren inszeniert Ingo Kerkhof im Schauspiel wie auch im Opernbereich: Sie haben ihn als Regisseur für Quartett engagiert. Was waren die Gründe?
Ingo Kerkhof ist einer der musikalischsten Regisseure, die ich kenne. In drei Zweitaufführungen in Zusammenarbeit mit mir hat er in Heidelberg sehr feinsinnig schwer zu realisierende Opern bewegend auf die Bühne gebracht: Dionysos von Wolfgang Rihm, Morgen und Abend von Georg Friedrich Haas und Benjamin von Peter Ruzicka. Und mit großem Erfolg an der Staatsoper Berlin etwa Lohengrin von Sciarrino oder Wozzeck von Berg an der Oper Köln. Mit der ihm eigenen musikalisch feinsinnigen Personenregie und einem Gespür für den politischen Kontext wird ihm ein sehr eigenes Quartett gelingen.

Francesconi Quartett a Dortmund

Von 2011/12 bis 2017/18 waren Sie Operndirektor am Theater Heidelberg, an dem Sie zeitgenössischer Musik ebenfalls eine wichtige Position im Opernspielplan gegeben haben. Warum finden Sie zeitgenössisches Musiktheater im Spielplan wichtig?  
Zeitgenössische Musik ist essentiell für ein lebendiges Opernhaus, da sie eine der beiden zentralen Säulen ist – die andere ist die Pflege des großen tradierten Repertoires in ästhetischer Zeitgenossenschaft der jeweiligen Realisierung  – um das Genre langfristig auch für die Zukunft vital zu halten. Lebendig wird ein Opernhaus aber nur durch ein ebensolches Publikum. Und zu seiner Freude und Weiterbildung benötigen wir zeitgenössisches Musiktheater.

Wie sieht Ihre Vision für ein heutiges Opernhaus aus? Wie würden Sie Ihre Gesamtperspektive als Dramaturg, Intendant und ganz allgemein Künstler beschreiben?
Für mich ist die Kunstform die großartigste Erfindung des menschlichen Geistes auf dem Gebiet der Künste, aufgrund ihrer ist sie ohnehin das Kunstwerk unserer Zeit. Außerdem ist das Theater in unserem auf Vereinzelung setzenden Medienzeitalters, eine der wenigen verbliebenen Orte, an dem empathische Intelligenz ausgebildet wird. Deswegen arbeite ich an einem Opernhaus, das sich weit in die Stadtgesellschaft öffnet, Impulse aufnimmt, ohne dabei seine Identität zu verlieren. Ich habe das für Dortmund für mich mit dem Schlagwort RuhrOper 21 belegt. Ich wünsche mir ein Opernhaus, dessen Demographie sich in den nächsten sechs Spielzeiten derjenigen der Stadtbevölkerung annähert und das nicht trotzdem, sondern gerade deswegen zu den spannendsten des Landes zählt. Um gerade den Opernbesuch auch unabhängig von mitunter als Pflicht empfundenen Schulbesuchen zu fördern, habe ich zu Beginn meiner Intendanz eine neue Abteilung für Outreach-Projekte gegründet. Eine besondere Stellung hierin nimmt Deutschlands erste institutionalisierte Bürgeroper ein: We DO Opera! Die Dortmunder Bürgeroper ermöglicht jedem Interessierten, bei einer Musiktheaterproduktion, die er/sie inhaltlich und musikalisch mitentwickeln kann, auf der Bühne zu stehen. Dabei nehmen wir dezidiert auch musikalisch Impulse außerhalb des klassischen Kanons auf, ohne unsere eigene Herkunft zu verleugnen. Und gleichzeitig realisieren wir die Meisterwerke des Genres und geben neue Werke in Auftrag. Generell gilt: Für Generationen, die Musik fast ausschließlich in Verbindung mit bewegten bunten Bildern konsumieren, über Video oder Youtube, ist Oper das perfekte Genre. Das haben nur noch nicht alle gemerkt! Ich bin angetreten, das zu ändern.


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Photo: Thomas Jauk