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Venables: 4.48 Psychose

Venables: 4.48 Psychose

Nach Aufführungen am Londoner Royal Opera House und dem Prototype Festival in New York City, erhielt Philip Venables’ preisgekrönte Oper 4.48 Psychosis im April 2019 ihr Debut an der Semperoper Dresden in einer neuen deutschsprachigen Fassung. Die Opernadaption von Sarah Kanes gleichnamigem Theaterstück erkundet die Suche nach dem Selbst and nach der Liebe innerhalb des Leidens an einer klinischen Depression, während sich die Progagonistin schwerfällig mit ihrer Psychose abzufinden versucht. Nach der Uraufführung im Mai 2016 am Royal Opera House, hat die Oper nun ihre Deutschlandpremiere mit einem Libretto in einer Übersetzung vom Dresdner Dichter und Essayisten Durs Grünbein erfahren. Venables unterzog sein Werk ebenfalls einer umfassenden Revision, um den phonetischen Eigenheiten des neuen Librettos musikalisch gerecht zu werden. Max Renne übernimmt die musikalische Leitung der neuen Inszenierung von Tobias Heyder, die mit der Videokunst von Benedikt Schulte bereichert wird. In der Hauptrolle der Gwen steht Sopranistin Sarah Maria Sun im Zentrum eines Solistenensembles aus sechs Sängerinnen.

4.48 Psychose (2016/2018) 

eine Kammeroper in einem Akt
nach Sarah Kane (Durs Grünbein, Übers.)
3S.3Ms - afl (picc).3ssax (3barsax).pf (synth).acc.tape.2perc.vl (vla).2vla.db
Dauer: 90'
UA: 24.05.2016, London / 30.04.2019, Dresden (Deutsche Version)

Picture of 448 Psychose by Philip Venables

Pressestimmen

Die sechs Sängerinnen haben in „4.48 Psychose“ keine Namen. Ihre Stimmen sind kunstvoll polyphon verwoben, Worte, Fetzen, Buchstaben folgen zuweilen aufeinander wie das Rattern von Maschinengewehren. Sie überlagern sich, sie singen zart, poetisch und traurig oder mit sich aufbäumender, grausamer Brutalität [...] Philip Venables setzt mit seiner Musik die Stimmungen des Textes ungeheuer sensibel und fantasievoll um. Das ist im Ganzen eher illustrierend als kontrastierend aber nicht plakativ. Die im tonalen und freitonalen Raum platzierte Harmonik hat Venables mit Geräuschen, Elektronik und Reminiszenzen an Bach oder englische Lautenlieder angereichert. Man spürt immer wirkliches Mit-Leid mit diesen extremen Zuständen, und gerade dadurch entsteht eine Dimension, die eine Ahnung von den Leiden psychotischer Personen ermöglicht.
Deutschlandfunk Kultur, 29 April 2019

Venables hat für diese Vorlage eine plausible Vielschichtigkeit gefunden. Es gibt keine Personenangaben im Stück. Das sprechende Ich hat Venables in sechs Frauenstimmen aufgespalten, die Stephan Wedel, zuständig für die Bühne und die Kostüme, dezent modern, farblich blau, beige und weiß eingekleidet hat. Die Persönlichkeitsspaltung wird musikalisch in polyphonen Überlagerungen deutlich, verdichtet sich in unisono-Linien oder formt sich zu madrigalesken Ensembles… Und wir sind mitten drin in dem Drama eines Menschen, der sich dem Verlust seiner Autonomie widersetzt, der um sein Ich kämpft und nach Liebe schreit!
concerti, 29 April 2019

Max Renne interpretiert mit dem Projektorchester Venables‘ Musik in ihrer ganzen Bandbreite, vom aggressiven Hämmern bis zum lyrischen Klingen, von harmonischem Schwelgen bis zur dissonanten Eruption. Venables zitiert, montiert und mixt die Stile, verliert aber nie das Eigene und den dichten Kontakt zur Szene. 
Sächsische Zeitung, 29 April 2019

Und es ist ein Gesamtkunstwerk von unglaublicher Intensität geworden, auch wenn es sich um eine Kammeroper handelt.
Klassikfavori, 29 April 2019
 

Picture of 448 Psychose by Philip Venables

Interview mit dem Komponisten

Wie sah die praktische Kompositionsarbeit, die Struktur und Anlage der 24 Szenen aus? 
Nach neun Monaten der intensiven Beschäftigung ausschließlich mit dem Text, Recherchearbeit über die Theaterstücke und -themen der 1990er Jahre, Gesprächen mit Simon Kane und Freundinnen von Sarah Kane habe ich mich an die Komposition gesetzt. Ich hatte fast ein Jahr mit dem Text gelebt – ohne zu komponieren – und entwickelte eine Art Intuition für den Weg. Und als ich mit der Kompositionsarbeit begann, hatte ich schon fast alle Ideen entwickelt und die Dramaturgie lag klar vor mir. Dabei haben neben atmosphärischen Fragen manchmal durchaus auch pragmatische Probleme wie das Unterbringen der ungeheuren Textmenge eine Rolle gespielt. Linear komponiert hätte ich diese niemals in einem 90-minütigen Abend unterbringen können. Ich habe also mit verschiedenen Ebenen von Text gearbeitet und oft überlagern oder ergänzen sich nun z.B. aufgenommener gesprochener und live gesungener Text. Und dadurch haben sich wiederrum neue inhaltliche Ideen wie die Form der aufgenommenen Nachrichten (an das eigene Selbst) oder Teile der Erinnerung, die bis zum Ende durchgezogen werden, entwickelt. Ich habe auch nicht ausschließlich der Reihenfolge nach komponiert, sondern Szenen mit ähnlicher Atmosphäre oder Ausrichtung wie die psychologischen Zahlentests in einem Arbeitsprozess zusammengefasst. Nur die letzte Szene, die ist wirklich am Schluss entstanden. Ich hatte das Gefühl, dass ich das erst komponieren kann, wenn alles andere gesagt ist. 

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Picture of 448 Psychose by Philip Venables
 

Partitur von 4.48 Psychose






Photos: Semperoper Dresden/Ludwig Olah