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Newski: Secondhand-Zeit - Uraufführung in Stuttgart

Newski: Secondhand-Zeit - Uraufführung in Stuttgart

Secondhand-Zeit • [2018-2019]

Libretto von Sergej Newski
nach Texten aus dem gleichnamigen Buch von Swetlana Alexijewitsch
2S.2Ms.T.Bar.Kind - Chr - 3.2.2.2 - 4.2.2.1 - 4Perc - Klv - 10.10.8.8.6
UA: 02.02.2020, Stuttgart
Dauer: ca. 60'

Aufführungen

07, 16. & 23 Februar 2020
02 März 2020
10 & 13 April 2020
Staatsoper Stuttgart


Picture of Secondhand-Zeit
UA von BORIS an der Staatsoper Stuttgart

Werktext

Secondhand-Zeit ist zwar so komponiert, dass es auch unabhängig von Mussorgskis Werk aufgeführt werden kann, zugleich aber schafft die Interaktion beider Partituren eine einzigartige Optik, die uns hilft, eine Distanz zu jedem der beiden Stoffe aufzubauen und beide trotzdem intensiver wahrzunehmen. Die Sänger*innen der Partien Mussorgskis singen auch in meiner Oper, und so bekommen Mussorgskis Nebenfiguren in meinem Stück ein zweites Leben. Die Episodenhelden aus Boris Godunow werden zu den Hauptprotagonisten meiner Geschichte.

[...] Wird bei Mussorgski die Geschichte fast ausschließlich von Männern erzählt, so prägen Alexijewitschs Secondhand-Zeit – und damit auch meine Oper – vor allem Stimmen von Frauen.

[...] Eigentlich kann man die formale Idee von Swetlana Alexijewitschs Buchs als eine Weiterführung und Vergrößerung der Idee Puschkins und Mussorgskis ansehen, jenem Volk eine Stimme zu geben, das am Ende von Puschkins Drama „entsetzt verstummt“.

[...] Der „kleine Mensch“ der klassischen russischen Literatur wird hier zum Richter über die Zeit und über die Umstände in denen er leben muss. Ich habe aber bei der Arbeit mit dem Text versucht, das Politische und das Pathetische ein wenig einzudämmen und zugleich das Paradoxe zu betonen, die irrationalen Motive, die die Held*innen des Buchs bewegen.

[...] Das Verhältnis beider Partituren stellt einen Versuch dar, die Hierarchien genauso aufzuheben, wie es schon Puschkin mit den Dramatis personae in seinem Boris Godunow gemacht hat: So wie es dort keine Haupt- und keine Nebenfiguren gibt, wird es auch in unserem Stuttgarter BORIS keine Haupt- und Nebenpartitur geben, sondern eine Koexistenz von beiden Stücken, die uns vielleicht eine komplexe und detaillierte Sicht auf Geschichte ermöglichen kann..
Sergej Newski

Excerpts from the program book.
Published with kind permission by the author and ECLAT Festival Neue Musik Stuttgart.


Trailer von BORIS




Pressestimmen

"Newski ist dann – mit harmonischen Anleihen bei Mussorgski, aber auch im Tango-Stil und bis hin zu einer Art Schlussfuge – sehr geschickt bei den Übergängen zwischen der Musik von 1869 und der von 2020. In den besten Momenten entsteht eine kurzfristige Irritation. Ist es noch Newski oder schon wieder Mussorgski?"
Stuttgarter Zeitung, 3. Februar 2020

"Newski schreibt lange, trotzdem gern gebrochene Kantilenen, das Orchester splittert dazu Begleitmomente, der Text ist immer präsent und wichtiger als die Musik. Anfangs sind das Arien, bald werden es Duette, Terzette, ein Sextett.“

"Der Regisseur Paul-Georg Dittrich, neuerdings sehr als Opernmacher begehrt und bejubelt, gibt sich allerdings nicht mit politischen Statements, Realismus und Neudeutung zufrieden. Er und sein Bühnenteam feiern in einem fantastischen Bildersturm die Poesie des Untergangs und des Unheils."

"Denn da [bei BORIS] schaffen es die Musik und die Sprache anders als in einem Pamphlet, dass der Opernbesucher fasziniert und womöglich sogar mitfühlend Anteil nimmt an den Seelennöten eines Mörders und Despoten. Während das Publikum fast hilflos vor den "Secondhand-Zeit"-Figuren zurückbleibt, weil die Musik Sergej Newskis nicht so schamlos auf Kunst macht wie diejenige Mussorgskis.“ 
Süddeutsche Zeitung, 4. Februar 2020 
 
“Newski montiert in Mussorgskis testosterongeladene „Männeroper“ reflektierende Inseln, bei denen, wie bei Alexijewitsch, liebend leidende Frauen dominieren, die als Vertreterinnen des „Volkes“ aber auch die Lebenssituation einer Mussorgski-Nebenfigur in die Gegenwart fortspinnen. […] Bei Newskis deutsch gesungener, mit Geräuschklang, Klavier und Schlagwerk ausgemalter Partitur, die rund ein Drittel des Dreistundenabends ausmacht, steht der Text im Vordergrund. Dennoch prägt sie die Gesamtaufführung." 
FAZ, 6. Februar 2020

“Dirigent Titus Engel hatte als erfahrener Abenteurer keine Probleme, den Überblick zu behalten, obwohl kreuz und quer im Zuschauerraum gesungen wurde und der Wechsel von Modest Mussorgskijs Partitur zu immer wieder eingestreuten Werkteilen von Sergej Newski nicht gerade unkompliziert war. Dabei ist Newski zugute zu halten, dass er sehr textverständlich komponierte und, was die Anschlüsse betraf, auf Mussorgskij einging." 
BR-Klassik3. Februar 2020 

“Es ist ein komplexes Doppelwerk mit musikalisch schlüssigen Übergängen und Wirkungen. Newskis vielgestaltige Moderne mit unterschiedlichsten Klangverhältnissen und -mitteln, von flächig strömend bis messerscharf sezierend, geht eine Beziehung ein zu Mussorgskis oft brutaler Direktheit einer modernen Romantik. Titus Engel am Dirigentenpult des Staatsorchesters tariert das bravourös aus. Der Zuhörer ist manchmal irritiert – ist das schon Mussorgski oder noch Newski? Spannend.“ 
Heidenheimer Zeitung4. Februar 2020 


Picture of world premiere of Secondhand-Zeit
UA von BORIS an der Staatsoper Stuttgart



"Einen ähnlich bildstarken und inhaltlich vielschichtig verzahnten Opernabend hat man lange nicht gesehen.""
Südkurier, 4. Februar 2020

"Und wie präzise und schön ihm (Titus Engel) die Übergänge zu Newskis klanglichen Raumöffnungen gelingt, zu seiner fein ziselierenden Sprachen, die sich viel stimmig auffächert, wuselig, quirlig, beredt“
Reutlinger General-Anzeiger, 4. Februar 2020

Unter der elektrisierenden Leitung von Titus Engel musiziert das Staatsorchester Stuttgart vor allem auch Sergej Newskis Partitur in hervorragender Weise. Die barocke Stimmbehandlung und das Dehnen des Textes treten so grell und deutlich hervor.
Online Merker, 3. Februar 2020

“[…] musikalisch funktioniert die Unterbrechung und Verknüpfung hervorragend: Newski findet nahtlose Übergänge zu den einzelnen Bildern der Oper, ja er fügt am Ende gar in die Todesszene von Boris ein Intermezzo ein, in der dieser dem jüdischen Partisan als Erwachsener und Kind zuschaut und -hört, während beide aus den Logen singen.“
Die Deutsche Bühne, 3. Februar 2020

“Desgleichen fügte sich Newskis Musik amalgamierend, verwandelnd und anverwandtelnd zur herben, holzschnittartigen Boris-Urfassung; die von ihm zur Vertonung ausgewählten Swetlana Alexijewitsch-Szenen passten nahtlos zwischen die Tableaux von Mussorgsky.“
Der Klassikkritiker, 3. Februar 2020

Titus Engel dirigierte "Boris" durchaus transparent und ohne russische Schwere, sorgt dabei für elegante Übergänge zwischen beiden Werken.“ 

“Sicherlich könnte Sergej Newskis insgesamt einstündige Oper "Secondhand-Zeit" auch ohne "Boris Godunow" als durchkomponiertes, aussagekräftiges Musiktheater-Stück für sich bestehen. […] Jedoch sind einzelne Fragmente zutiefst berührend, vor allem immer dann, wenn Swetlana Alexijewitschs Texte, denen neben wahrheitsverpflichteter Härte auch große Poesie innewohnt, von der Musik gekonnt aufgegriffen und transportiert werden.“ 
Deutsche Welle, 4. Februar 2020 

Partitur von Secondhand-Zeit








Fotos: Matthias Baus/Staatsopernchor Stuttgart