„Hier ist irgendetwas passiert, was ich so noch nie geschrieben habe.”—Enno Poppe
Wenn das Publikum nicht zu Enno Poppes Ur- und Erstaufführungen kommen kann, so bringt der Komponist sie einfach zu seinen Hörern nach Hause. Im November und Dezember feierten zwei neue Ensemblewerke unter Leitung des Komponisten in Livestreams Premiere.
Prozession (2015/2020)
für großes Ensemble
1.1.2(2=sax).0 – 1.2.1.0 – 4perc.2synth.egit – 1.1.1.1.1 – dir
Uraufführung: 22.11.2020, Leipzig
Dauer: 49’
Am 22. November präsentierte das Leipziger Ensemblefestival Poppes
Prozession in einem digitalen Konzert des Ensemble Musikfabrik, die das Werk gemeinsam mit Bernd und Ute Bohmeier, dem estnischen Festival für zeitgenössische Musik AFEKT und der Kunststiftung NRW in Auftrag gaben. Poppe hat
Prozession seiner Schwester Lydia anlässlich ihres 60. Geburtstags gewidmet. Die Live-Premiere des Werks wurde schließlich beim Musikfest Berlin 2021 präsentiert.
Aufführungen
22.11.2020 (UA)
Ensemble Musikfabrik,
Enno Poppe (Dir.), Ensemblefestival Leipzig
05.09.2021 (Live-Premiere)
Ensemble Musikfabrik,
Enno Poppe (Dir.), Musikfest Berlin
Über das Werk
„Musik aus dem Lockdown. Vor fünf Jahren hatte Enno Poppe die Arbeit begonnen, doch die PROZESSION bei Minute 8 wieder abgebrochen. Irgendwann sollte es weiter gehen. Das Stück, dachte Poppe, hätte dann vielleicht eine Viertelstunde gedauert. Es ist dreimal so lang geworden. Als er die Partitur Mitte März, als draußen nichts mehr lief, wieder auf den Schreibtisch gelegt hatte, sei es plötzlich wie von selbst gegangen, so Poppe: es habe sich immer weiter ausgebreitet, immer weiter entfaltet. Den Samen für diese Entwicklung hatte er zwar selbst gepflanzt und schon anno 2015 eine Wachstumsstruktur entworfen mit einer konkreten Proportionslogik – dass sie ihn aber so weit tragen würde, hat ihn am Ende dennoch überrascht. […]
Poppes Ausschweigen über die Bedeutung seiner Titel ist legendär. PROZESSION allerdings legt eine vergleichsweise konkrete Spur. Denn das Prozessuale ist nur das eine – es geht nach einem bestimmten Plan immer weiter. Prozessionen aber führen nicht nur weiter, sondern in eine ganz konkrete Richtung und zu einem Ziel. Dieses Ziel ist geographisch genau verortet, doch geistig ist es offen. Als Wanderung führt die Prozession zu einem Ort, als innere Bewegung zieht sie ins Unendliche. Und sie hat auch Poppe gewissermaßen ins Unendliche gezogen, zu einem ihm bis dahin unbekannten Punkt seines kompositorischen Schaffens: „Hier ist irgendetwas passiert, was ich so noch nie geschrieben habe.“
Auszug aus dem Programmhefttext von Raoul Mörchen.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und Ensemble Musikfabrik.
Partitur zu Prozession
Blut (2020)
12 Lieder für Sopran und Ensemble
Worte von Else Lasker-Schüler
S - 0.0.2.0 – 1.1.0.0 – perc – mand – guit – hp – cel – harm – 1.0.1.1.1
Uraufführung: 28.11.2020, Amsterdam
Deutsche Erstaufführung: 01.12.2020, Köln
Dauer: 7‘
Zum Stream
Seinen Liederzyklus
Blut nach einem Text von Else Lasker-Schüler hat er am 28.11. mit dem Ensemble Modern und der Sopranistin Caroline Melzer im Amsterdamer Concertgebouw digital zur Uraufführung gebracht. Die deutsche Erstaufführung des Auftragswerks des Ensemble Modern, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, erfolgte bereits drei Tage später in einem gestreamten Konzert der Kölner Philharmonie unter gleicher Besetzung.
Enno Poppe conducting the Ensemble Modern in Amsterdam
Partitur zu Blut
Photos: Kai Bienert