Im Herbst 2024 präsentierte Nicolas Altstaedt die
Uraufführung von Liza Lims A Sutured World mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in München, gefolgt von der niederländischen Premiere mit dem Concertgebouworkest in Amsterdam. Wir sprachen mit dem Cellisten über Lizas Werk, seine Zusammenarbeit mit der Komponistin und wie unterschiedlich er die Arbeit mit beiden Orchestern erlebt hat.
Dutch Premiere of A Sutured World at Cello Biennale, Amsterdam
Welcher Aspekt hat dich persönlich an Lizas neuem Konzert besonders angesprochen?
Mich hat der Bezug auf die Figur des Leiermanns fasziniert und wie man in einer zeitgenössischen Musiksprache damit authentisch und inspiriert umgeht. Liza hat es geschafft, die Verwendung von 2 Bögen nicht zu einem Effekt verkommen zu lassen, sondern als Notwendigkeit musikalisch zu integrieren. Der visuelle Eindruck berührt, weil er sich mit der Klanglichkeit vereint.
Was sind die besonderen künstlerischen und spieltechnischen Herausforderungen von A Sutured World?
Ich denke, es ist das Verinnerlichen von Liza’s Sprache. Es gilt zu verstehen, was hinter den schwarzen Punkten auf dem weißen Blatt Papier gemeint ist und es braucht viel Kreativität, um das umzusetzen, was ihr am Herzen liegt.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Liza gestaltet? Habt ihr gemeinsam am Solopart gearbeitet?
Liza war im Vorfeld sehr neugierig über meine Cellospiel und meine Person. Im Sommer 2022 trafen wir uns in Berlin und ich spielte ihr etwas auf meinem Violoncello piccolo vor. Währen meiner Tournee mit dem Australian Chamber Orchestra kam sie diesen Sommer mehrmals zu Konzerten, nachdem das Cellokonzert schon fertig war und wir über Kleinigkeiten in der Partitur sprachen. Am Abend vor der ersten Probe sind wir den Part einmal zusammen durchgegangen. Dabei war sie sehr genau in ihren Vorstellungen und Anforderungen, ab den Proben mit dem Orchester ließ sie mir sehr freie Hand.
World Premiere of A Sutured World at musica viva, Munich
Du hast das Stück jetzt im Laufe kurzer Zeit mit zwei der weltbesten Orchester (und Dirigenten) gespielt: was waren die Unterschiede in der Zusammenarbeit?
Der Unterschied liegt insbesondere darin, daß man in den ersten Proben ein Werk zunächst ertastet, wenn man es zum ersten Mal hört/spielt und noch nicht kennt. Ich hatte mit Ed und dem BR dabei die besten und flexibelsten Partner. Wir haben viel probiert und in jeder Probe Tempi und Rubati sehr variiert, um das Werk zu erfassen und zum Kern zu durchdringen. In diesem Konzert reagiert das Orchester sehr auf die Klanglichkeit des Solisten. Je reicher ich meinen Part gestalte, umso mehr lässt sich das Orchester davon inspirieren. In Amsterdam profitierten wir alle von den Proben und der Aufführung mit dem BR. Das gab mir ein anderes Gefühl von Selbstverständlichkeit und Sicherheit aus Erfahrung.
Die Arbeit mit beiden Orchestern war herausragend; die Präzision des BR also auch die Klangpalette des Concertgebouw Orkest in meinem Lieblingssaal überwältigend. Zwei sehr unterschiedliche Aufführungen sind entstanden, von denen ich keine missen möchte.
Du hast ja ein sehr breites Repertoire und bist in der historischen Aufführungspraxis so zu Hause wie in der zeitgenössischen Musik: gibt es für dich eine andere Art der Herangehensweise an ein komplett neues Stück, besonders im Hinblick darauf, dass die Komponistin im Vergleich zum restlichen Repertoire „ansprechbar“ ist?
Eigentlich nicht, Musik bleibt Musik. Auch wenn sich die Art der Notation über die letzten 400 Jahre geändert hat, das Problem der Übertragung von Musik auf Papier bleibt bestehen. Die Arbeit mit Komponisten von heute ist für mich eine Selbstverständlichkeit; allerdings ist es nicht so, daß man zu allem Antworten bekommt. Gerade die guten Komponisten sind oft zurückhaltend, da sie daran interessiert sind, was ein Interpret in ihrer Musik entdeckt. Sie sind auch Lernende in diesem Prozess….Was in der Probe ihren Vorstellungen am nächsten kommt, wird oft am selben Tag noch anders notiert. So wie bei Gustavs Mahler, wo wir deutlich die Revisionen in den Symphonien sehen können, die er proben und aufführen konnte.
Photos: BR/Astrid Ackermann (Munich), Foppe Schut (Amsterdam)