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Bernhard Lang über G.F. Haas' Koma

Bernhard Lang über G.F. Haas' Koma

Das Theater des Unsichtbaren

Beim Hören von Georg Friedrich Haas‘ Koma
Ein Bericht von Bernhard Lang

Es wirkt wie eine Erklärung nicht ausreichender Kraft, nicht befriedigender Intensität, nicht überzeugender intellektueller Potenz, dass die Neue Musik sich in den letzten Jahrzehnten mit dem Visuellen scheinbar verbünden muss, dass das Performative sich vor den Klang stellen, das Sichtbare den Vordergrund des Musikalischen bilden will.

Schallwellen sind unsichtbar und stellen in einer Ära der visuellen Überforderung und Inflation ein kleines Wunder dar: Hören lässt die Augen frei, erlaubt dem Blick, sich nach innen zu wenden, hin zu einer Erfahrung von Zeitlichkeit und Raum, welche mit einer großen Freiheit verbunden ist. Leibniz nennt Musik das »unbewusste Zählen der Seele«.

Georg Friedrich Haas‘ Musiktheater Koma erfuhr ich als eine großartige Apologie dieses Unsichtbaren, und dies in mehrfacher Bedeutung: das Drama selbst erfährt eine Verschiebung in den Klang und dessen Innerstes und eröffnet einen Kosmos voller Wunder: Haas ist es hier gelungen, tatsächlich eine neue Form der Harmonik zu entwickeln, die seine Musiksprache einzigartig macht: mikrotonale Beleuchtungen und Verschiebungen von Naturtönen in einer neuen Art von Hyperchromatik, ein neuer Gesualdo.

Picture of the world premiere of KOMA by Georg Friedrich Haas in Klagenfurt
Uraufführung der endgültigen Fassung von Koma, Klagenfurt 2019


Das alles ist außerordentlich fein instrumentiert, in Koma in einer großen Zartheit und Transparenz. Das vehemente Rauschen und Aufbrausen ist hier einer kammermusikalischen Textur gewichen, die mehr an die 2. Wiener Schule erinnert. Belohnt wird das durch eine neue Transparenz des Gesangs, der, unverstärkt, in hohem Ausmaß Textverständlichkeit transportiert. Mehr als in den vorhergehenden Arbeiten verbindet sich die Intonation des Gesanges mit der der mikrotonalen Textur. 

In Koma erfährt die Dimension des Unsichtbaren zudem eine inhaltsbezogene Deutung: die Spiegelung der inneren Seelenzustände der Wachkomapatientin sind Reflexe des Unsichtbaren, des Unsagbaren, des Undenkbaren. Hier trifft die Form auf den Inhalt, verbindet sich zum Sinngehalt. Das Unsichtbare wird im Hören sichtbar, lesbar, fühlbar.

Haas‘ immer wiederkehrendes Thema der Dunkelheit (vergleiche das Musiktheater Nacht sowie die Dunkelszenen in In Vain), der Verdunklung, wurde bei Koma auch szenisch realisiert, im repetitiven Einblenden von Dunkelszenen: deren Negativität zeichnet die sichtbaren Szenen als statische Bilder eines aufblitzenden Bewusstseins, punktuelle Erinnerungen, Assoziationen, dissoziierte Inseln im Bewusstseinsstrom. In diesen Dunkelheiten wird Koma dann tatsächlich zu einem Theater des Hörens, und geht dabei vielleicht noch einen Schritt weiter: die Deprivation des Sichtbaren im Auditorium führte mich zu einer Wahrnehmung meiner Selbst als Hörendem, ich hörte mir, im Godardschen Sinn, beim Hören zu.





Photos: Arnold Pöschl