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Lang: Playing Trump und Der Hetzer

Lang: Playing Trump und Der Hetzer

Politik und Macht, Gesellschaft und Manipulation – das sind die Kernthemen von Bernhard Langs neuesten „politischen Musiktheaterwerken“, deren Uraufführungen in Hamburg und Dortmund jeweils starke Resonanz bei Publikum und Presse fanden: die Kammeroper Playing Trump, ein Auftragswerk der Staatsoper Hamburg mit einem Libretto von Dieter Sperl, unter der musikalischen Leitung von Emilio Pomàrico und in der Regie des Hausherrn Georges Delnon; das groß besetzte Musiktheater Der Hetzer, ein Auftragswerk der Oper Dortmund mit einem Libretto des Komponisten auf Grundlage von Shakespeares und Verdis Otello, unter der musikalischen Leitung von Philipp Armbruster und inszeniert von der jungen Regisseurin Kai Anne Schuhmacher.


Politik und Musiktheater: eine Wiederkehr des Theaters der Wiederholungen

Ein Kommentar von Bernhard Lang

Vor einigen Jahren nahm ich an einem Symposion in Heidelberg zum „Politischen Musiktheater“ teil, veranstaltet von Heribert Germeshausen, wobei Achim Freyer, Klaus-Peter-Kehr und weitere renommierte Regisseure teilnahmen: Ausgehend von den dortigen Reflexionen entstanden mehrere politische Musiktheater, die jetzt in Hamburg sowie in Dortmund ihre Uraufführungen erfuhren: Cheap Opera #2 Playing Trump einerseits, nach Originaltexten des damaligen US-Präsidenten, und andererseits Der Hetzer, einer Überschreibung des hochbrisanten Otello-Stoffes von Shakespeare und Boito/Verdi; letzteres Stück wird durch Texte von Jugendlichen aus Dortmund bzw. von Dortmunder Rappern erweitert. Im Zentrum des Stückes stehen Manipulation, Intrige, Mobbing, Verhetzung, Machenschaften, von denen ich mich umgeben fühle. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich unbegrenzter Egoismus als Freiheit des Individuums maskiert, Solidarität medial bei jeder Gelegenheit diffamiert wird, Religionen wieder als Legitimation für Schlächtertruppen benutzt werden, und die gesamte Menschheit die Möglichkeit unbegrenzten Wiederholens bereits an einem Endpunkt erkennen muss, scheint es schwierig geworden zu sein, das Theater als eine autochthone Schutzzone verstehen zu können, und Neue Musik als einen Schrebergarten zu betreiben, der von all dem vorher Erwähnten unberührt bleiben will. In beiden genannten Musiktheatern steht die Darstellung der genannten Problematiken im Vordergrund, es gibt dort keine Antworten zu finden, doch vielleicht die Möglichkeit der Anknüpfung an einen Diskurs, ein Aus-dem-Haus-Tragen der Frage. Und: ich musste diese Stücke schreiben, sie brannten mir unter den Fingernägeln.


Der Hetzer (2019)

Oper in 4 Akten
Libretto von Bernhard Lang
nach William Shakespeare und Arrigo Boito
 
Auftragswerk der Oper Dortmund

WP: 26.9.2021, Dortmund


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Uraufführung von Der Hetzer, Dortmund 2021


Aufführungen

26.9.2021 (WP), 3. & 17.10.2021
Oper Dortmund, Kai Anne Schuhmacher (Regie), Philipp Armbruster (mus. Ltg.), Dortmund


Über das Werk

Er hetzt. Gegen seine Mitmenschen. Vor allem gegen Coltello. Denn Coltello ist anders und er ist nicht von hier. Wieso macht er trotzdem Karriere, zieht beruflich an den anderen vorbei und gewinnt zudem die schöne Desirée für sich? Das ist für Jack Natas nicht hinnehmbar und er beginnt eine Intrige, um Coltello zu vernichten. Doch das ist ein gefährliches Spiel, das in einem Strudel von Verleumdung, Eifersucht und Mord endet. Der renommierte österreichische Komponist Bernhard Lang sorgte 2017 mit einer Überschreibung von Richard Wagners Parsifal für Furore. Der Hetzer ist eine Beschäftigung mit dem erschütternden wie zeitlosen Stoff des Otello, wie er bei Shakespeare und der musiktheatralen Verwandlung durch den italienischen Komponisten Verdi tradiert ist. Lang geht es bei seiner Überschreibung jedoch vorrangig um die heutige politische Verfasstheit, in der die Hetze gegen das Andere keine Ausnahme ist. In den von Lang absichtlich flexibel gehaltenen Zwischenspielen kommen in Dortmund Texte von Jugendlichen auf die Bühne, die eigens für das Stück verfasst wurden und als Raps die thematische Ebene ergänzen. Diese verbindet Bernhard Lang versiert mit seinem eigenen Jazz-inspirierten Kompositionsstil sowie der emotional ergreifenden Klangwelt Giuseppe Verdis.
Text: Oper Dortmund, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Veranstalters




Pressestimmen

"Komponist Bernhard Lang zeigt mit einer Überschreibung von Verdis Eifersuchtsdrama, wie Oper heute funktionieren kann – für junges Publikum und für das ältere. Beide Gruppen waren nach der Uraufführung des 100-Minüters am Sonntagabend im Opernhaus begeistert. […] Der 64-jährige Österreicher hat wunderbare Musik komponiert. Sie ist melodiös, farbig, erzeugt Stimmungen, schwenkt manchmal ins Revuehafte und steht für große Gefühle. […] Diese Oper hat viel Publikum verdient."
Ruhr Nachrichten, 29.09.2021


"Joe Coltello [also Otello] ist ein aus einem Seesturm geretteter farbiger Flüchtling. In Gestalt und majestätischer Baritonstimme ist er bei Mandla Mndebele eine authentische Figur. Er [erg. Jack Natas/Jago] wird zum intriganten fremdenfeindlichen Hetzer, was durch die Stimmlage der Rolle noch einmal übersteigert wird. David DQ Lee ist ein wendig mephistophelischer Counter von bestechender Ausdrucksintensität. Dass er statt seines Verdischen Credo eine Nummer singt, die auf Purcell Bezug nimmt, die klirrend dissonante ‚Kälte‘-Arie aus ‚King Arthur‘, die wiederum durch den ‚Cold Song‘ von Klaus Nomi popkulturell populär geworden ist, passt übrigens perfekt zu Bernhard Langs Überschreibungstechnik."
Salzburger Nachrichten 29.09.2021


"Bernhard Lang hat tatsächlich Verdis vorletzte Oper überformt, wobei auch deren Vorlage, Shakespeares Stück, eine Rolle spielt. Die Musik schillert vielfältig, bleibt oft eng bei Verdi, bricht aber auch mal in die Gegenwart oder die britische Renaissance aus, kombiniert das große Orchester mit Elektronik, lässt aber auch einfach mal die Harfe zirpen. Für seinen deutschen Text verwendet Lang kurze Sätze, oft nur aus drei bis fünf Worten, und lässt diese häufig wiederholen. Das erzeugt zweierlei: große Verständlichkeit der Handlung und aggressive Grundstimmung."
Die Deutsche Bühne, 27.09.2021


"Eigentlich duellieren sich zwei Außenseiter – und auf dieser Ebene ist das Stück interessant – die sich eigentlich auch verbünden könnten. [...] Beide, Coltello und Natas, werden durch Rapper gedoppelt, IndiRekt und S.Castro. Die Oper hat mit einer Schreibwerkstatt aus dem Dortmunder Norden zusammengearbeitet. Dort sind Texte entstanden, die die Themen, Hass, Rassismus, Liebe, um die es eben im ‚Otello‘ geht, behandeln und die beiden Rapper haben dann daraus wiederum die Texte für ihre Auftritte gewonnen."
WDR 5 Scala, 27.09.2021


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Uraufführung von Der Hetzer, Dortmund 2021

Interview mit Bernhard Lang

Für das Magazin ORPHEUS sprach Maike Graf mit dem Komponisten über sein Kompositionsprinzip und dessen Stilelemente, über den Einsatz von Rap und die gesellschaftspolitischen Intentionen seiner Auftragsoper Der Hetzer.

An der Oper Dortmund ist Ihre Uraufführung »Der Hetzer« als eine »Überschreibung« von Verdis »Otello« angekündigt. Sehen können wir sie wegen der aktuellen Lage leider noch nicht – darüber sprechen sollten wir aber unbedingt, denn sie wirft einige Fragen auf! Aber schaffen wir erst einmal eine Basis: Was heißt »Überschreibung« für Sie?


Die »Überschreibung« ist eine Technik, mit der ich mich schon seit 2007 mit dem Beginn meiner »Monadologien « beschäftige. Ich habe sie einerseits aus der bildenden Kunst, zum Beispiel dem Werk von Jonathan Meese, entlehnt. Andererseits sind die Metafilme aus der experimentalen Filmkunst eine wichtige Referenz. Diese Werke sind Filme über Filme, das heißt es werden vorhandene Filme quasi neu- oder nachkomponiert. Zusätzlich inspiriert mich noch die Idee des Remixens aus der DJ-Szene, bei der man auf Vorhandenes zurückgreift und dabei nicht den Erfinder spielt, der jede Minute eines Werkes neugestaltet. Man ist dann jemand, der über Werke nachdenkt.

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Partitur von Der Hetzer




Playing Trump (2020)

Cheap Opera #2
Musiktheater nach einem Libretto von Dieter Sperl für Stimme, Saxophon, E-Gitarre, zwei Synthesizer, Perkussion und Zuspielung
 
Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper GmbH

WP: 20.08.2021, Hamburg


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Uraufführung von Playing Trump, Hamburg 2021

Aufführungen

20.08.2021 (WP), 21./22./24./25.08.2021
Staatsoper Hamburg, Georges Delnon (Insz.), Emilio Pomàrico (mus. Ltg.), Hamburg


Über das Werk

So banal der Mensch, so gefährlich der Typus. Vier Jahre einer Präsidentschaft der USA haben gezeigt, wie die Welt längst ist – oder wie sie werden kann. So absurd die Reden und fake news, so symptomatisch der manipulative Erfolg. Wie weit ist das demokratische Prinzip bereits erodiert? Der Ausverkauf von Anstand und Humanität, legitimiert durch 63 Millionen Wähler*innen? Komponist Bernhard Lang und Autor Dieter Sperl entwerfen ein Panoptikum der (Un-)Worte und der Macht. Müssen wir uns in diesem Zerrspiegel selbst erkennen? Was einmal möglich war, kann sich bald wiederholen. Die Geschichte soll sich nach Hegel und Marx stets zweimal ereignen, erst als Tragödie, dann als Farce. Finden heute beide gleichzeitig statt?
Text: Staatsoper Hamburg, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Veranstalters




Pressestimmen

"[…] Bernhard Lang ist im Jazz genauso zu Hause wie in der Avantgarde. Seine Musik fegt als suggestive Mischung aus Jazz, Pop, Groove, Minimal Music und elektronischer Musik in motorischen Rastern und Wiederholungsschleifen mit kleinen Widerhaken voran und reißt dabei an Anspielungen mit, was die amerikanische Musikgeschichte so hergibt: Marching Bands und Krimi-Sound-Track, Rap, Rock, Hip-Hop oder Elektro-Rock, dazu immer wieder auch verfremdete Originalklänge aus Trump-Reden samt Beifall."
Süddeutsche Zeitung, 23.08.2021


"Der große österreichische Komponist Lang hat ein wundervoll komplexes Werk für eine vierköpfige Band mit Leader geschrieben, einen Kosmos, in dem neben den Illustrationen der zerrissenen Hauptperson und der gespaltenen amerikanischen Gesellschaft in wohlkalkulierter Kakophonie, die sich in der Politik spiegelt, noch viel mehr anklingt. Das Spektrum im Selbstverständnis der amerikanischen Musiknation reicht von der Marching Band und dem frühen amerikanischen Jazz bis zum Rap der Gegenwart. Sonst gibt es leise und laute Lautmalerei, himmlische Egozentrik. In der Staatsoper wird die Musik unter der musikalischen Leitung von Emilio Pomàrico zum Ereignis."
DIE WELT, 21.08.2021


"In dieser stringent vorwärtsdrängenden Musik führt der Text ein Eigenleben, löst sich ab von der Person Trumps und wird zum Symptom eines Systems, das sein Vertrauen verspielt hat. Darin – und in der musikalisch hervorragenden Umsetzung – besteht die große Kraft dieses Playing Trump-Abends."
Die Deutsche Bühne, 23.08.2021


Partitur von Playing Trump



Photos: Brinkhoff/Mögenburg (Playing Trump), Thomas Jauk, Stage Picture (Der Hetzer)