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Eötvös, Peter

Peter Eötvös wurde 1944 in Székelyudvarhely (Transsylvanien) geboren. Mit 14 Jahren wurde er von Kodály an der Budapester Musikakademie (Komposition) aufgenommen, wo er sein Studium mit dem Diplom abschloss. Ein weiteres Diplom erwarb er im Fach Dirigieren an der Musikhochschule Köln, für die er 1966 ein Stipendium vom DAAD erhalten hatte. Zwischen 1968 und 1976 war er Pianist und Schlagzeuger im Stockhausen Ensemble, darüber hinaus spielte er dort seine eigenen Live-Elektronik-Instrumente. Von 1971 bis 1979 arbeitete er am Studio für elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks Köln.

1978 dirigierte er auf Einladung von Pierre Boulez das Eröffnungskonzert des IRCAM und wurde in Folge zum musikalischen Leiter des Ensemble InterContemporain (1979-91) ernannt. Seit seinem Debüt bei den „Proms” im Jahre 1980 ist er regelmäßiger Gast im Londoner Musikleben.

Als Dirigent wurde Peter Eötvös u. a. von folgenden Orchestern regelmäßig eingeladen: Royal Concertgebouw Orchestra, Berliner Philharmoniker, Münchner Philharmoniker, Wiener Philharmoniker, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Orchestre Philharmonique de Radio France, BBC Symphony Orchestra, Cleveland Orchestra und NHK Orchestra Tokyo. Zudem war er bei führenden Ensembles wie Ensemble intercontemporain, Ensemble Modern, Klangforum Wien, Ensemble Musikfabrik und London Sinfonietta zu Gast.

Peter Eötvös hat in Opernhäusern wie Teatro alla Scala in Mailand, Covent Garden in London, Opéra National de Lyon, La Monnaie in Brüssel, Festival Opera in Glyndebourne und Théâtre du Châtelet in Paris dirigiert und war Erster Gastdirigent beim BBC Symphony Orchester, Budapester Festival Orchester, bei der Ungarischen Nationalphilharmonie, beim Stuttgarter Radio Sinfonie Orchester, Göteborg Symphony Orchestra und beim Radio Sinfonie Orchester Wien. Von 1994 bis 2004 war Eötvös außerdem Chefdirigent des Radio Kammerorchesters in Hilversum.

Seine Kompositionen (u.a. Atlantis, Shadows, Replica) und seine Opern (u. a. Tri sestry, Lady Sarashina) werden weltweit regelmäßig aufgeführt. Die Oper Tri sestry wurde mit dem Claude-Rostand-Preis, dem Grand Prix de la Critique (1998) und den Victoires de la Musique Classique et du Jazz (1999) ausgezeichnet. Die CD-Produktion derselben Oper erhielt 1999 den Grand Prix de l’Académie Charles Cros, 2000 den Diapason d’or, den ECHO Klassik, den belgischen Prix Caecilia und 2001 den Royal Philharmonic Society’s Music Award. Seine Werke wurden für die Labels Deutsche Grammophon, BIS, BMC, Hungaroton, ECM, KAIROS, col legno, Naïve, EMI, Koch Schwann und Cybele aufgenommen und werden u. a. bei EMB, Durand-Salabert-Eschig und Ricordi Berlin verlegt.

1991 gründete er das Internationale Eötvös Institut für junge Dirigenten und Komponisten in Budapest. Er war zudem als Professor an den Musikhochschulen in Karlsruhe und Köln tätig und leitet regelmäßig Meisterkurse und Seminare auf der ganzen Welt. Peter Eötvös war Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, Széchenyi Kunstakademie in Budapest, Sächsischen Akademie der Künste in Dresden und der Royal Swedish Academy of Music. Unter seinen zahlreichen Preisen sind vornehmlich der „Kossuth Prize” (2002), der „Commandeur l´Ordre des Arts et des Lettres” (2003), der „Frankfurter Musikpreis” (2007) und der „Leone d’Oro” (2011) für sein Lebenswerk zu nennen.

Portrait

Am Ende des 20. Jahrhunderts, in unserer hyperspezialisierten Zeit, wird man schon fast misstrauisch, wenn ein Künstler gleich in mehreren Sparten seines Berufes Hervorragendes leistet. Man glaubt, dass ein Komponist höchstens ein amateurhafter Dirigent und umgekehrt, dass ein Dirigent keinesfalls ein guter Komponist sein kann. Dabei wird allerdings gern vergessen, dass früher einmal viele Komponisten herausragende Interpreten waren. Die Kluft zwischen Komposition und Interpretation ist eine Erscheinung unseres modernen Zeitalters - und wenn jemand sich in beiden Sparten auszeichnet, so ist das vor allem ein Zeichen dafür, dass er sich etwas von der Universalität früherer Zeiten erhalten hat.

Eötvös, der mit vierzehn Jahren von Zoltán Kodály als eine Art Wunderkind in die Budapester Musikhochschule aufgenommen wurde, war Komponist, ehe er Dirigent wurde. Allerdings entwickelte sich seine Karriere als Komponist langsamer als die des Dirigenten. Dem aufmerksamen Zuhörer fiel allerdings schon in den frühen Werken auf, dass Eötvös nicht einer jener Komponisten ist, die nur zum Zeitvertreib, sozusagen zum eigenen Vergnügen komponieren. In den neunziger Jahren hat sich dann das Bild, das sich die Öffentlichkeit von Peter Eötvös machte, grundlegend geändert. Im Lauf dieser Jahre schrieb Eötvös den Hauptteil seines bis jetzt vorliegenden Œuvres von etwa dreißig Werken, deren Geist und Komplexität es durchaus rechtfertigen, dass ihr Autor einen Platz unter den führenden Komponisten am Ende des Jahrhunderts für sich in Anspruch nimmt.

Eötvös’ Weg als Komponist ist alles andere als konventionell zu sein - vielleicht ist es gerade deswegen so schwierig seinen Platz auf der Bühne zeitgenössischer Komposition zu finden. Es gibt in seinen Stücken keine wiederkehrenden Techniken oder Stilmittel, er verwendet keine immer wiederkehrenden Elemente. Eötvös’ Werke scheinen einzigartiger und charakteristischer als viele Stücke seiner Kollegen. In jedem seiner Werke kann man die Gegenwart eines unabhängigen Konzeptes spüren, den langsam aufgehenden Samen des Gedankens, die “große Idee”.

Fast alle, die Eötvös’ Musik schätzen, sehen seine dramatische Begabung, seinen Sinn für das Theater. Jede seiner Arbeiten ist szenisch, wobei es kein Zufall ist, dass sein größter Erfolg seine erste Oper Drei Schwestern ist. Szenische Elemente erscheinen in verschiedenen Verkleidungen: er hat Hörspiele geschrieben (Jetzt, Miss!), Varieté (Harakiri), “Madrigal- Komödien”, Performances, aber selbst in seinen Orchesterwerken entdeckt man seinen Sinn fürs Dramatische. Für Eötvös selbst ist alle seine Musik dramatisch, ja filmisch. Dieses musikalische Theater enthält gewisse archaische Elemente, aber selbst wenn wir es mit dem japanischen Nô oder Kabuki vergleichen oder mit alten afrikanischen Riten, eines ist sicher: es bietet dem Hörer nicht die beruhigende Möglichkeit, unbeteiligt zu bleiben. Das Spiel ist echt: das Geräusch eines Gewehrschusses oder das Säbelrasseln auf der imaginären Bühne bedroht auch das Leben des Zuschauers. All das können wir bei der Aufführung von Psalm 151 erleben, wenn wir den rituellen Tanz des Schamanen verfolgen, der mit seiner großen Trommel kämpft, und wir fühlen die Buchstaben von Frank Zappas Namen auf unserer eigenen Haut, wenn der Schlagzeuger sie mit den Fingernägeln auf die Bespannung seines Instrumentes kratzt.

Ich kenne keinen anderen zeitgenössischen Komponisten, in dessen Arbeiten die musikalischen Gesten so klar und stark zum Ausdruck kommen. Vielleicht ist es diese Gestensprache, die den nachhaltigen Eindruck erklärt, dem der Kritiker so selten bei zeitgenössischer Musik begegnet, dass er ihn für ein seltenes Phänomen hält. Den sinnlichen Aspekt seiner Kompositionen erhöht Eötvös noch durch ein Spiel mit dem Klangraum und ein subtiles Gefühl für Töne; nur wenige sind so vertraut mit der “inneren” Natur der gewählten Ausdrucksmittel wie er.

Neben all den starken Effekten und den vielen Arten von Humor gibt es auch eine Reihe von lyrischen Momenten. Zum Beispiel wenn der Komponist jeden Satz von Atlantis mit den fragmentierten Erinnerungen an transsylvanische Volksmusik beendet, oder wenn er verlorene Schönheit mit den zögernden Worten des Klarinetten-Flöten-Duetts am Ende von Shadows beklagt und so in der Klage selbst Schönheit erschafft.

Bei Eötvös’ Kompositionen erstarrt Könnerschaft nicht zu Spekulation, Instrumentierung ist kein Mittel zum Zweck, sondern vielmehr ein Mittel im Dienste des Ausdrucks, Tradition legt hier keine Fesseln an, sie lebt weiter in Form von tief berührenden Bruchstücken der Erinnerung.

—Zoltán Farkas, 1999