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Maderna, Bruno

(21. April 1920 - 13. November 1973)


Initiator der nachwebernschen Bewegung in Italien - in engem Kontakt mit dem Darmstädter Kreis -, Pionier der elektronischen Musik in den fünfziger Jahren, als Orchesterdirigent spezialisiert auf die zeitgenössische Musik und in hervorragender Weise für ihre Verbreitung in der ganzen Welt tätig: das sind die vorrangigen Aspekte der starken Persönlichkeit von Bruno Maderna, dem in Venedig geborenen Komponisten, der mit nur dreiundfünfzig Jahren verstarb. Diese wenigen Hinweise - vielleicht noch ergänzt durch die selbstverständliche Würdigung von Qualität und Nachhaltigkeit der Spuren, die er in allen Bereichen seines Wirkens hinterlassen hat - mögen genügen, um die einzigartige Gestalt Madernas zu umreißen. Als einer der ersten Italiener, die sich der Methode des seriellen Komponierens in seinen fortschrittlichsten Formen anschlossen, hat Maderna von Anfang an eine Sonderstellung eingenommen unter den gewichtigsten Exponenten jener Bewegung, die sich die Erkenntnisse der webernschen Richtung zunutze machte.

Von den Bekennern der Darmstädter Anschauungen unterscheidet er sich durch eine persönliche und breite Aufgeschlossenheit für alle Möglichkeiten von Klangerzeugung, wie auch durch die bereitwillige Anknüpfung an die Vergangenheit in Gestalt von Erinnerung und durch seine Neigung zu klaren und deutlich geprägten Formen, die entdeckt und wiederentdeckt werden nicht aufgrund einer rein ästhetisierenden Einstellung, sondern vielmehr aus dem tiefen und unveräußerlichen Bedürfnis des modernen Kulturmenschen. Alle diese Leitlinien treten in den 20 Jahren schöpferischen Wirkens deutlich in Erscheinung und dämmen eine vielgestaltige, überbordende Erfindungs¬kraft ein, die eine gründliche Durchforschung der Klangwelt nach jeder Richtung hin anstrebt. Und im Aufwind dieses Entdeckerdranges nach neuen Klängen tritt Maderna Ende 1955 der elektronischen Dimension näher, um - zunächst mit Luciano Berio - sich ernstlich mit dieser neuesten technologischen Möglichkeit zu befassen. Die beiden Schaffensbereiche, der des Gebrauches der herkömmlichen Instrumente - die auf dem traditionellen Wege noch nicht erschöpfend ausgewertet sind - und der elektronische Bereich, verlaufen von diesem Zeitpunkt an miteinander parallel, wobei sie sich wechselweise beeinflußen und oft durchdringen - wie in dem Bühnenwerk Hyperion oder in den neueren Werken Ausstrahlung und Juilliard Serenade - bis zu jener Verschmelzung, die in hohem Grade bezeichnend ist für die jüngsten Versuche Madernas in Verbindung mit der gegenwärtigen musikalischen Avantgarde.

Schon diese summarischen Angaben weisen auf die deutlich erkennbare Gliederung der schöpferischen Versuche Madernas hin, die sich im wesentlichen in drei Perioden einteilen lassen. Die erste ist gekenn¬zeichnet durch parallellaufende instrumentale und elektronische Experimente. Die bedeutendsten Ergebnisse im instrumentalen Bereich sind vielleicht mit der Serenade Nr. 2 für 11 Instrumente (1957) erreicht, einem Werk, das im internationalen Umkreis einzigartig ist, auch durch seine ihm eigentümliche Heiterkeit und Geschliffenheit, durch die Hingabe an die Freude des Musizierens, Merkmale, die sich späterhin als charakteristisch für Maderna herausstellen sollten. Im Gegensatz dazu steht, beispielsweise, ein Werk wie Continuo (1958). Es ist der Zeitpunkt der grundsätzlichen « Erhebung » des elektronischen Mediums aus der Rolle des bloßen Erzeugers von Klangfarben und Frequenzen zum schöpferischen «Instrument» für ausgesprochen musikalische Ereignisse. Die zweite Periode ist jene, in der die Ver-schmelzung der beiden musikalischen Medien zu beobachten ist: Musica su due dimensioni für Flöte und Tonband (1958) erscheint dabei als solide Grundlage für jenes Verfahren, das in dem schon erwähnten Hyperion (1964) gipfeln wird, mit der Einbeziehung auch einer theatralischen Idee, die das Drama nach seiner damaligen Nichtbeach¬tung wieder in den Mittelpunkt stellt. Schließlich die jüngste Periode, die auch zusammenfällt mit dem verstärkten Eintreten des Dirigenten Maderna auf breiter Front für die zeitgenössische Musik. Eine auch für den Komponisten sehr ergiebige Periode mit Arbeiten, die nach Anlage, Besetzung und in ihren Ansprüchen sehr verschiedenartig sind. Doch aus ihnen tritt deutlich die starke Persönlichkeit eines Musikers hervor, der mit einer unbegrenzten Erfindungs-kraft leidenschaftlich dem Suchen zugewandt ist und - was heutzutage überrascht - ein ihm selbst gemäßes Ideal des Musizierens zu verwirklichen sucht. Das bedeutet Überwindung der verunsicherten Klangproblematik unserer Zeit - die oft allerdings eine falsche Problematik ist -, um grundlegende, wenn auch unterschiedlich zu hand-habende Modelle und Verfahrensweisen aufzufinden, die sich, wie selbstverständlich, als Voraussetzung anbieten könnten für eine neue Entwicklungsphase der modernen Musik, in der es etwas vie ein wiedergewonnenes Vertrauen in die Mittel der Komposition und der Verständigung gäbe und, nicht zuletzt, die erträumte Wiederherstellung des Dialogs mit dem Publikum.

Viele, wenn nicht alle Werke dieser letzten Jahre haben eine bestimmte Bedeutung im obigen Sinne, darunter eines vielleicht am meisten: Aura, eine Partitur für großes Orchester, die 1972 im Auftrag des Chicago Symphony Orchestra geschrieben wurde. In ihr hat die Klangwelt Ma¬dernas mit ihren Spannungen und ihrem Schwung die endgültige Form gefunden. Eine mit bedeutendem Anspruch gearbeitete Partitur, erfüllt von den grundlegenden Vorzügen des Komponisten Maderna, von jenem Suchen nach nie gehörten, nie verwirklichten Klängen und von einer sprühenden Erfindungskraft.


Roberto Zanetti